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totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
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jäh vom Klang dieser Stimme unterbrochen.
    »Frau Abendroth, jetzt kommen Sie doch bitte mal.«
    Die Stimme gehörte dem Kugelfisch. Seiner Stimmlage nach zu urteilen, war Herr Sommer gerade mittelnervös. Ab dem Nervenstatus »mittelnervös bis hysterisch« benutzte er unsere Gegensprechanlage nicht mehr, sondern schrie aus vollem Halse. Okay, wenn der Sommer zweimal ruft …
    »Wo sind Sie denn, Herr Sommer?«, flötete ich zuckersüß.
    »Ja, wo soll ich schon sein?! Hier unten. Jetzt kommen Sie doch bitte, es beißt Sie ja niemand«, schrie es zurück.
    Das konnte man nicht wirklich wissen. Ich mochte »da unten« nämlich überhaupt nicht. Mein Terrain war »hier oben«. Herr Sommer hatte mir beim Einstellungsgespräch von »da unten« überhaupt nichts gesagt! Und gleich an meinem ersten Arbeitstag wäre ich am liebsten sofort auf dem Absatz umgekehrt, als er mir das Kellergeschoss und seine Nutzung vorführte. Nach dem ich diesen Schock überwunden hatte, tat ich alles dafür, um auch nicht eine Sekunde »da unten« verbringen zu müssen. Ich war als Bürokraft eingestellt und Ende der Durchsage!
    Ich log einen Teil von Sommers Rechnungen zusammen und heuchelte am Telefon Mitgefühl und menschliche Wärme, ohne rot zu werden. Das war, knapp ausgedrückt, meine Arbeitsplatzbeschreibung.
    Widerwillig drückte ich meine Zigarette aus und begab mich, so gemächlich wie möglich, endlich die enge Wendeltreppe hinunter. Bevor seine Stimme das hohe C erreichen würde, sollte ich mich lieber blicken lassen. Als Sommer mich im Türrahmen stehen sah, blinzelte er mich mit seinen Karnickelaugen an. Seine gummihandschuhbewehrten Finger steckten im Mund einer Leiche. Da kann er ja auch die Gegensprechanlage nicht mehr benutzen!
    »Halten Sie das bitte mal fest?«
    »Was soll ich festhalten?« Ich stellte mich dumm, obwohl ich genau begriffen hatte, was ich festhalten sollte.
    »Frau Abendroth, ich bitte Sie, nur ein einziges Mal. Herr Matti ist gerade beim Krematorium. Halten Sie mir doch einfach bitte mal den Faden hier fest, damit ich einen Knoten machen kann.«
    Er zog ungeduldig die Schlaufe zu, die Kinnlade schnappte hoch, und die Zähne des Toten schepperten laut aufeinander.
    Ich hätte nicht entsetzter sein können, wenn die Leiche selbst mich darum gebeten hätte.
    »Ich glaube, das Telefon klingelt, Herr Sommer.«
    So schnell es meine überflüssigen Pfunde zuließen, rannte ich die steile Wendeltreppe hoch, nach oben an meinen ungefährlichen Schreibtisch, bereit, noch die ein oder andere Kerze mehr zu berechnen, als eigentlich notwendig war, wenn ich »da unten« nur bitte nie wieder betreten müsste. Faden festhalten – nicht mit mir! Es soll ja Menschen geben, die sich nichts daraus machen, an Leichen herumzufleddern. Einer davon war Herr Matti, und der wurde von Sommer dafür bezahlt. Warum soll ausgerechnet ich mich für Sachen interessieren, die mir Übelkeit bereiten? Da hätte ich auch Kindergärtnerin werden können, um den kleinen Frettchen täglich Rotze und Bananenreste aus dem Gesicht zu popeln.
    Leise vor mich hin schimpfend, trommelte ich auf der Computertastatur herum. Was bildet der Kerl sich eigentlich ein? Was glaubt der, was er mit mir machen kann, nur weil ich momentan etwas angeschlagen bin? Bürokram – und keinen Schritt weiter, bitte!
    Ich nahm mir vor, den Kugelfisch bei Gelegenheit an unsere Abmachung zu erinnern. Wenn es sein musste, auch laut. Erst heißt es, »Halten Sie mal kurz«, und dann, kaum dass man sich versieht, kämmt man einer Leiche schon die Haare. Oder Schlimmeres! Ich blies heftig meine Bäckchen auf und hielt die Luft an. Das war eine schlechte Angewohnheit von mir. Bald würde ich aussehen wie Louis Armstrong.
    Jetzt hab dich mal nicht so, meldete sich meine vernünftige innere Stimme. In Amerika sind vor zwei Monaten die Symbole der freien westlichen Welt dem Erdboden gleichgemacht worden, die ganze Welt trägt Schwarz, dozierte sie weiter.
    Wie wahr. Ich hatte nächtelang in fasziniertem Grauen vor dem Fernseher verbracht und die Ereignisse in New York verfolgt. Ich hatte ja jetzt Zeit für solche Eskapaden. Mein rapider sozialer Absturz hatte mich ohne Ende Nerven gekostet, und ich war auf der nach unten offenen Sozialabstiegsskala fast unter die Marke eines Schiffschaukelbremsergehilfen gerutscht. Mit 37 Lebensjahren war ich kürzlich auf meinem persönlichen Ground Zero aufgeschlagen. Ich fand allerdings, dass ich für meine Verhältnisse dem Leben

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