totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
ist er wirklich?«
Sie hielt inne und stützte sich mit tropfnassen Händen am Rand der Spüle auf.
»Ich habe seine Leberwerte gesehen, Frau Abendroth. Um ehrlich zu sein – es kann jeden Tag vorbei sein.«
Mit dem nassen Handrücken, von dem noch der Schaum abtropfte, wischte sie sich über die Stirn und schniefte laut.
»Entschuldigung. Ich hatte das nicht so eingeschätzt.«
Schwester Beate drehte sich abrupt zu mir um und verschränkte energisch ihre Arme vor ihrer ausladenden Brust. Ärgerlich sagte sie: »Ja, fragen Sie ihn doch mal! Er sagt immer nur, er ist nicht krank. Hauptsache, der Cognac läuft ordentlich durch. Er lacht mich immer aus. ‚Schwester Beate, solange der Durchlauferhitzer noch funktioniert, kratzt mich nichts mehr.‘ Stellen Sie sich das mal vor – so eine Unvernunft! Ich könnte den Kerl umbringen!«
Sie drehte sich wieder um, knallte den Wischlappen ins Spülwasser und fuhr fort: »Seine Frau hatte es auch nie leicht mit ihm.« Wütend schrubbte sie in der Kasserolle herum. »Aber er war immer irgendwie … doch ein Guter. Deshalb hat sie sich nie scheiden lassen. Nur der Alkohol, wenn er nur die Finger vom Alkohol lassen könnte!«
»Warum trinkt er so viel? Ist damals was passiert?«
»Passiert? Natürlich ist was passiert. Er wurde vorzeitig pensioniert, aus gesundheitlichen Gründen. Das ist passiert. Er trinkt schon immer regelmäßig seinen Cognac, mal mehr, mal weniger. Hat Erika jedenfalls erzählt. Aber er hat es immer irgendwie im Griff gehabt all die Jahre«, schimpfte sie und schlug mit dem nassen Lappen wieder ins Spülwasser, dass der Schaum spritzte. »Aber kaum war seine Verabschiedungsfeier vorbei, war er jeden Abend volltrunken. Erika war verzweifelt. Dann, vor drei Jahren, ist er von einer Sauftour einfach nicht mehr nach Hause gekommen. Von Blaschke wusste Erika, dass er nicht tot ist. Der Winnie hat das ganze Ruhrgebiet nach ihm abgesucht. Mein Gott, hat Erika sich Sorgen gemacht! Dann hat er ihn eines Tages am Bahnhof in Dortmund sternhagelvoll aufgefunden. Aber er wollte nicht zurück. Da wusste sie wenigstens, dass er nicht tot ist. Der Winnie Blaschke hatte ein Auge auf ihn, die ganze Zeit. Da war sie beruhigt. Was sollte sie sonst auch tun?«
Schwester Beate stand an der Spüle, ihre Arme hingen kraftlos herunter, und der Spülschaum tropfte auf den Küchenfußboden. In meiner Hilflosigkeit reichte ich ihr die Rolle mit Küchenpapier und sagte: »Setzen Sie sich mal hin, Schwester Beate, und legen Sie die Füße hoch. Ich mach’ den Rest allein«, und hoffte, dass der Gutmensch Blaschke noch mal auftauchen würde. Das wünschte ich mir aber nur ganz heimlich. So heimlich, dass ich es selbst eigentlich gar nicht wissen durfte.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, war Kostnitz eingeschlafen. Kajo saß mit Kopfhörern vorm Fernseher und verfolgte ein klassisches Konzert auf 3Sat. Er spielte auf einem Holzbrett mit einer echten Klaviertastatur lautlos mit. Schwester Beate thronte neben Kostnitz auf der Couch und las in einem Magazin. Ich fragte sie, ob ich sie nach Hause fahren sollte und sie willigte ein. Aber erst, nachdem Kajo versprochen hatte, dass er beim alten Herrn den Rest der Nacht Wache halten und aufpassen würde, dass er heute unter drei Litern Cognac blieb.
Kostnitz schlief tief und fest und bekam gar nicht mit, dass wir uns von Kajo verabschiedeten. Der bedankte sich rührend, dass wir beide den Abend mit ihnen verbracht hatten. Als wir in der offenen Haustür herumdrucksten, hatten wir alle drei Tränen in den Augen.
Ich fuhr mit Schwester Beate davon.
»Wird er Dummheiten machen?«, fragte ich sie, als wir nach einer Viertelstunde vor ihrer Haustür hielten.
»Natürlich wird er das. Aber ich werde die ganze Zeit dort sein. Er ist im Augenblick mein einziger Pflegefall.«
»Passen Sie gut auf. Und kein Wort zu Bartholomae. Gute Nacht.«
»Das werde ich. Aber diesem Gauner von Bartholomae werde ich Manieren beibringen.«
»Tun Sie das nicht. Um Himmels Willen. Ich sagte doch gerade, es wäre besser, Sie gehen ihm aus dem Weg. Sie machen die drei kleinen Affen, bis Winnie und Kostnitz soweit sind. Kann ja nicht mehr lange dauern. Sobald Kostnitz mit Winnie telefoniert hat, sind die beiden feinen Herren reif.«
»Aber ich bin so wütend, dass ich dem den Hals umdrehen könnte.«
»Schwester Beate, bitte. Versprechen Sie es!«
Sie verabschiedete sich von mir und winkte mir von der Haustür aus zu. Ich winkte zurück und wartete,
Weitere Kostenlose Bücher