Totgesagt
ich tun sollte. Ich glaubte, ich könnte ihm vertrauen. An Mum konnte ich mich nicht wenden, wegen Dad. Und zu John konnte ich wegen seines Berufs nicht gehen. Kath hätte das alles nicht verstanden. Keiner hätte es verstanden. Höchstens Mat, das hoffte ich jedenfalls. Als ich bei ihm war, rief er mehrere Leute an und sorgte dafür, dass ich auf die Farm gebracht wurde. Während der ersten Stunden waren sie nett zu mir. Sie machten ein Foto, redeten mit mir und versprachen mir, dass alles in Ordnung kommen würde. Aber können Sie sich vorstellen, was sie als Nächstes gemacht haben?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie schlugen mich k.o. Sobald ich ihnen zum ersten Mal den Rücken zugewandt hatte, schlugen sie mich nieder. Und dann versuchten sie, mein Gedächtnis auszulöschen. Ich fühlte, wie mein Körper nach ihren Drogen bettelte, aber in meinem Inneren kämpfte ich gegen sie. Ich schaffte es, mich an etwas festzuhalten. Sogar in den düstersten Zeiten sah ich die Umrisse der Menschen vor mir, die ich liebte. Ich konnte Dinge hören, die Mum zu mir gesagt hatte; Orte sehen, an denen ich mit Kath gewesen war. Daraus zog ich Kraft und die Hoffnung, irgendwann zu entkommen.«
Ich nickte. »Wie haben sie es angestellt, deinen Tod vorzutäuschen?«
»Sie haben Simon benutzt.«
» Simon sollte als deine Leiche durchgehen?«
»Ja.«
»Warum er?«
»Wir hatten dieselbe Blutgruppe. Daran erinnere ich mich noch aus der Zeit an der Uni, wenn wir zusammen Blut spenden gingen. So ließ sich besser verschleiern, dass nicht ich in diesem Auto saß. Und ich vermute, dass Andrew
und den anderen auf der Farm … Ich glaube, ihnen gefiel die Symmetrie des Ganzen.«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, dass ein Freund für den anderen das äußerste Opfer brachte.«
Nach allem, was ich auf der Farm erlebt hatte, konnte ich mir vorstellen, dass Alex recht hatte.
»Simon war schon einige Monate auf der Farm gewesen. Sie hatten ihn mit Drogen vollgepumpt – doch er kämpfte dagegen an. Er kämpfte gegen das Programm. Es gelang ihm, sich trotz all des Horrors, den er erlebte, zu wehren. Irgendwann allerdings wehrte er sich zu heftig. Eines Abends kam eine der Frauen mit seinem Essen herein, und er stürzte sich auf sie. Er schlug sie so heftig, dass die anderen sie am nächsten Morgen in einer Blutlache fanden.«
»Woher weißt du das alles?«
»In dem Raum mit den Ringen war ein Mädchen. Rose. Sie war angekettet worden, kurz bevor man mich auch dorthin brachte. Nachts wollte sie nicht sprechen. Wegen Legion. Sie wusste, dass er uns nachts beobachtete. Aber tagsüber erzählte sie mir ein paar Dinge, die sie gehört hatte – ehe sie dann im Programm verschwand. Und die Sache mit Simon hatte sie gehört …«
Dunkelheit. Dann Licht. Hände greifen ihn und zerren ihn aus dem Kofferraum des Wagens. Kalte Luft streift seine Haut. Dann legt man ihn auf eine Grasfläche. Ein Fuß hält ihn am Boden fest. Er spürt die Erde und den feuchten Matsch im Gesicht. Die letzten schwachen abendlichen Sonnenstrahlen fallen auf ein Feld und eine Staubstraße vor ihm. Ein Stück weiter steht ein alter Toyota, an dessen Unterseite ein Drahtseil befestigt ist.
»Dann töteten sie ihn also bei diesem Autounfall?«
»Ja. Ich sah, wie sie ihn wegbrachten. Am Tag, nachdem er die Frau geschlagen hatte, führten sie ihn an einer Leine weg. Ich roch das Benzin an seinem Körper noch am anderen Ende des Ganges. Erst später, als ich herausfand, dass ich offiziell als tot galt, verstand ich, warum sie ihn weggebracht und was sie ihm angetan hatten.«
»Sie steckten ihm deine Zähne in den Mund.«
Alex nahm eine Hand vom Lenkrad und zog seine Lippen zurück. Mit Daumen und Zeigefinger griff er nach den beiden oberen Schneidezähnen. Dann zog er. Und hielt die Zähne in der Hand.
Das ganze Gebiss war künstlich.
»Eine der Frauen auf der Farm war Zahnärztin gewesen. Sie übergossen Simon mit Benzin, steckten ihm meine Zähne in den Mund und flößten ihm so viel Alkohol ein, dass er kaum noch stehen konnte. Dann brachten sie ihn an einer Leine von der Farm fort und fuhren neun Stunden bis Bristol, damit es so aussah, als hätte ich mich die ganze Zeit in der Nähe aufgehalten. Simon war mein Double.«
Durch die Windschutzscheibe des Toyotas sieht er ein Auto kurz vor sich. Vielleicht einen Meter entfernt. Die beiden Fahrzeuge sind durch ein Abschleppseil verbunden.
Im Auto riecht alles nach Benzin: das Armaturenbrett, die Sitze,
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