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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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sie sich wieder hineinfinden konnten. Vielleicht auch keine Chance auf einen Neuanfang.
    »Nachdem er von zu Hause weggegangen war, lebte er eine Weile in Frankreich«, sagte ich in der Hoffnung, ihr etwas Handfestes bieten zu können. »Dort hielt er sich bis zu seiner Rückkehr auf.«
    »Was wollte er in Frankreich?«
    Ich schaute sie an und dachte an Malcolm und daran, dass
er Alex im Stich gelassen hatte. An die Geheimnisse, die er vor ihm verborgen hatte. Vor seiner Familie. Ich vermutete, dass Mary auch nichts von Alex’ Bruder wusste. Doch es war Alex’ Aufgabe, sie ins Bild zu setzen, nicht meine.
    »Was wollte er in Frankreich, David?«, fragte sie noch einmal.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Abermals gelang es mir nicht, sie dabei anzuschauen.
    Nach meinen Worten brach es aus ihr heraus. Sie weinte in den Ärmel ihrer Strickjacke und schirmte ihr Gesicht vor meinen Blicken ab. Schließlich beruhigte sie sich ein wenig. Ich schaute sie an und bemerkte, dass sie ins Leere starrte und in ihrem Kopf noch einmal die Bilder von ihrer Begegnung mit Alex ablaufen ließ. Ich begriff, was ich ihr mit diesen Lügen möglicherweise antat, doch ich hatte Alex mein Wort gegeben.
    Kurz erwog ich eine andere Lüge; eine, die sie ein wenig trösten könnte. Eine Geschichte über einen Freund von mir, der eines Tages zu dem Entschluss gekommen war, eine Auszeit zu brauchen – vielleicht nur für kurze Zeit -, um seinen Kopf klar zu bekommen und sich darüber klar zu werden, was er eigentlich wollte. Doch ich ließ es bleiben. Je mehr ich erzählte, desto mehr würde ich mich auf schwankenden Boden begeben. Und ich wollte mich nicht ertappen lassen wie die Leute auf der Farm, die sich zu guter Letzt selbst um ihr wertvollstes und wichtigstes Gut gebracht hatten: Verschwiegenheit.

50
    Als wir den Kaffee ausgetrunken hatten, brachte Mary mich hinunter in den Keller, wo wir uns, wie schon bei meinem letzten Besuch, noch eine Weile unterhielten. Irgendwo draußen fing sich der Wind in einer Mauernische und erzeugte Geräusche wie ein Kind, das in eine Flasche bläst. Der Keller war immer noch ein einziges Durcheinander. Pappkartons stapelten sich, und auf dem Boden verstreut lagen Gegenstände aus Holz und Metall. In einer Ecke waren Bücher in Stapeln von je zwanzig oder dreißig Exemplaren aufgeschichtet. Ein Rasenmäher. Noch mehr Pappkartons. Ein paar alte Spazierstöcke in unterschiedlichen Farben und verschiedenen Stärken, die wahrscheinlich alle Malcolm gehörten.
    Mary war mittlerweile schweigsam geworden. Hin und wieder blitzten ihre Augen im trüben Licht der Glühbirne auf. Ich merkte, dass sie mit den Tränen kämpfte. Ich brachte es nicht über mich, ausgerechnet jetzt zu gehen, also bot ich ihr an, noch eine Weile bei ihr sitzen zu bleiben. Das letzte Mal, dass sich jemand die Zeit genommen hatte, wirklich mit ihr zu reden, war wahrscheinlich vor Malcolms Erkrankung. Seitdem hatte sie ihre Dämonen allein bekämpfen müssen.
    »Was hat Alex in Frankreich gemacht?«, fragte sie.
    »Er hat verschiedene Jobs angenommen.«
    »Gute Jobs?«
    Ich lächelte. »Das würde er wahrscheinlich nicht so sehen.«
    Sie nickte. Rieb die Handflächen aneinander. Ihre Hände waren klein, die Fingernägel abgekaut. Neben ihr stand eine Tasse Kaffee. Sie streckte die Hand aus und legte die Finger über die Tasse, wie um sich aufzuwärmen.

    »Wie kann es sein, dass er noch lebt?«
    Ich hatte die Frage erwartet, wusste aber keine Antwort.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ich weiß nur, dass er Sie vermisst und Sie anrufen wird. Allerdings hat er ziemlich lange Zeit außen vor gelebt und muss erst wieder den Schritt zurück wagen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Über unseren Köpfen knarzten Bodendielen. Malcolm schlurfte durchs Wohnzimmer.
    Ich schaute Mary ins Gesicht. »Ich meine, dass er Zeit braucht.«
    Mary ließ ihren Blick durch den Keller schweifen und blieb an den Fotoalben in der Ecke gegenüber hängen.
    Sie hob den Kopf zur Decke.
    »In den letzten Wochen geht es ihm besonders schlecht.«
    »Was bedeutet das?«
    »Er behält gar nichts mehr. Nicht einmal Dinge, die er vorher oftmals wiederholt hat. Wenn ich ihn bade, schaut er mich an, und ich sehe, dass er nicht die geringste Erinnerung an mich hat.«
    »Das tut mir leid«, erwiderte ich leise.
    »Ich weiß, dass ich nichts daran ändern kann. Aber es tut weh.« Wieder schaute sie zur Decke. »Ich sehe mal nach, ob alles in Ordnung ist.«
    Ich nickte. »Und

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