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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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ich gehe jetzt besser.«
    Wir erhoben uns, stiegen die Kellertreppe hoch und gelangten durch die Küche ins Wohnzimmer. Malcolm Towne saß vor dem Fernseher, dessen Bilder farbiges Licht auf sein Gesicht warfen. Er wirkte müde und alt und drehte sich nicht zu uns um. Als Mary auf ihn zutrat und eine Hand auf seine Schulter legte, schaute er auf. Dann wanderte sein Blick zu mir herüber. Völlige Verwirrung. Hinter diesen Augen lagen Gespräche mit Alex verborgen, die niemals
ans Licht kommen und von denen Mary niemals erfahren würde. Sie taten mir leid – alle beide.
    »Alles in Ordnung, Malc?«, fragte sie.
    Statt etwas zu erwidern, starrte er sie an. Sein Mund stand ein Stück offen, auf seiner Zunge war Speichel zu sehen. Mary wischte sie mit dem Ärmel ab. Er regte sich nicht, sondern schaute mich unverwandt an. Ich lächelte, doch er reagierte nicht.
    »Möchtest du etwas Süßes?«, fragte ihn Mary.
    Die kleinste Regung seines Gesichts hatte größte Bedeutung für sie gewonnen. Als ein Mundwinkel zuckte, las sie darin seine Zustimmung. Sie ging zu einer Schublade und zog eine Tüte mit Bonbons hervor. Sie nahm eines heraus und wickelte es aus dem Papier.
    »Hier«, sagte sie und schob es ihm in den Mund.
    »Haben Sie keine Angst, dass er daran ersticken könnte?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Er scheint gut damit zurechtzukommen.«
    Sie zog die Bonbontüte an sich und sah ihm beim Lutschen zu. Seine Lippen schmatzten ein wenig – der einzige Körperteil, der sich halbwegs normal zu bewegen schien. Ich sah, was sie gemeint hatte, als sie über seine Krankheit gesprochen hatte: Sein Zustand hatte sich seit meinem letzten Besuch definitiv verschlimmert. Nach einer Weile drehte er sich langsam wieder zum Fernseher.
    »Möchten Sie auch etwas Süßes, David?«
    Sie streckte mir die Tüte entgegen, und ich nahm ein Bonbon heraus.
    »Es ist Malcolms Lieblingssorte«, sagte sie und begleitete mich zur Haustür. »Das ist die einzige Art und Weise, auf die er noch mit mir kommuniziert.«
    Wir gingen hinaus auf die Veranda und über den Weg bis zu meinem Wagen. Ich merkte, dass ihre Gedanken noch
ihrem letzten Satz nachhingen und was es für sie bedeutete, ins Gesicht des Menschen zu schauen, der übrig geblieben war von dem Mann, den sie liebte, und sich ständig vorzustellen, wie anders ihr Leben ohne seine Krankheit hätte verlaufen können.
    Als ich die Türen meines Wagens entriegelte, pfiff ein schneidender Winterwind durch die Straße. Ganz entfernt kam mir etwas zu Bewusstsein – ein Geräusch, das ich wiedererkannte -, und ich schaute zurück zum Haus.
    Mary stand hinter mir.
    »Was ist los?«, fragte sie.
    Ich lauschte. Nichts.
    »David?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich ist es nichts.«
    Ich stieg ins Auto, schloss die Tür und ließ das Fenster herabgleiten. Als Mary zu mir herantrat, wickelte ich das Bonbon aus und steckte es mir in den Mund.
    »Danke für all Ihre Hilfe, David«, sagte sie.
    »Alles wird sich zum Guten fügen.«
    »Na gut.«
    »Die ganze Sache wird zu einem Abschluss kommen. Und ich weiß, dass Sie das brauchen. Sie haben es richtig gemacht. Es war gut, dass Sie zu mir gekommen sind und alles daran gesetzt haben, dass ich Ihnen glaube. Aber eine solche Angelegenheit … Es ist komplizierter als ein normaler Vermisstenfall. Es gibt keine Akte, keinen klaren Ansatzpunkt für eine Nachforschung. Ihr Sohn ist da draußen und hat Orte und Dinge gesehen, die er verarbeiten muss, ehe er zu Ihnen zurückkehren kann. Ich weiß nicht alles, aber was ich sicher weiß, ist, dass er eine Menge Dinge für sich klären muss.« Ich legte meine Hand kurz auf ihre. »Er kommt zurück, Mary. Geben Sie ihm Zeit.«
    Wieder toste ein Windstoß die Straße hinauf und drückte
so heftig gegen die Scheiben, dass sie knarrten. Die Bö schob Mary ein Stück zur Seite, und ihre Hand löste sich aus meiner.
    Dann wieder das Geräusch.
    Ich schaute an Mary vorbei zum Haus. Blumenampeln schaukelten im Wind. Die Haustür schwang hin und her. Blätter wirbelten durch die Luft.
    »Was ist los, David?«, fragte sie wieder.
    »Ähm, nichts, ich glau…«
    Dann sah ich es.
    Oben auf dem Haus, im Abendlicht nur noch als Silhouette auszumachen, stand eine Wetterfahne. Von einer Bö angestoßen, wirbelte sie herum. Kurz darauf, als sich der Wind etwas legte, begann die Wetterfahne leise zu quietschen, als hätte sie sich teilweise aus ihrer Verankerung gelöst. Das Geräusch drang von hoch oben zu mir

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