Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
Vom Netzwerk:
ging herum zur Vorderseite des Häuschens, und dann zur anderen Seite. Die Tür zur Damentoilette stand offen und bewegte sich im Wind, der aus Richtung der Bögen herüberwehte. Drinnen war das Licht eingeschaltet, und ich sah Blutspritzer an einer Wand beim Eingang.
    Ich trat dicht an die Tür heran.
    Jade saß zusammengesackt an einer der Kabinentüren, den Kopf zur Seite geneigt. Ihre Finger hatten sich um das Steakmesser geschlossen, das mit dem Burger gekommen war und dessen Klinge jetzt blutüberströmt war. Die Schnitte in ihren Handgelenken waren tief und lang, und immer noch sickerte Blut heraus: auf ihre Hände, auf ihre Kleidung, auf den Fußboden.
    Ich trat zurück und sah eine frische Blutspur, die sich ihren Weg an einer der Kabinentüren herunterbahnte, dann
drehte ich mich um und schaute in Richtung der Eisenbahnbögen. Sie wirkten wie große Münder voller Dunkelheit, die sämtliche Geräusche aus der Nacht aufsaugten. In dieser Dunkelheit glaubte ich etwas zu sehen, das mir Angst machte: Dass Jade sich lieber umgebracht hatte, als die Konsequenzen des Weggehens auf sich zu nehmen. Dass sie lieber gestorben war, als den Leuten gegenüberzutreten, für die sie gearbeitet hatte.
    Der Wind frischte wieder auf, und ich hörte – ganz schwach – ein Geräusch wie flatterndes Papier. Ich sah hinunter zu ihrem Körper. Unter einer ihrer Hände, halb verborgen unter ihren zusammengeballten Fingern, schaute ein Zettel hervor. Ich beugte mich vor, löste ihn aus ihrem Griff und steckte ihn in die Tasche.
    Dann nahm ich mein Handy heraus und rief die Polizei.

20
    Zehn Minuten nach meinem Anruf tauchte die Polizei am Strawberry’s auf.
    Sie waren zu zweit: Jones und Hilton. Jones war ungefähr fünfundsechzig, während Hilton genau den Gegenpol darstellte: Viel jünger und nervös, umgab ihn eine Aura der Unerfahrenheit. Es hätte auch seine erste Nacht im Dienst sein können. Er hielt sich ziemlich ordentlich, als Jones ihn zu dem Toilettenhäuschen winkte und sie beide niederknieten, um sich Jades blasse Leiche aus der Nähe anzuschauen.
    Sie brachten mich zu einem Revier in Dagenham. Meine Aussage zu machen nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Es war offensichtlich, dass Jones mich nicht für Jades Mörder hielt. Die Zeugen aus dem Restaurant bestätigten meine Angaben über den Verlauf des Abends. Als er mich fragte,
warum wir überhaupt dort gewesen waren, sagte ich ihm die Wahrheit, oder zumindest eine Variante der Wahrheit. Ich kannte sie, wollte mich mit ihr unterhalten, und sie war einverstanden, wenn ich sie dafür in ihr Lieblingsrestaurant einlud.
    »Haben Sie erfahren, was Sie wollten?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht genau. Vielleicht.«
    Jones schüttelte den Kopf. »Hoffentlich hat sie für das Benzin bezahlt.«
    Ich bekam den Eindruck, dass er so kurz vor der Pensionierung stand, dass er sie geradezu riechen konnte. Er würde sich für keinen Fall übermäßig ins Zeug legen, dessen Aufklärung längere Zeit in Anspruch nehmen würde. Das passte mir gut. Wäre er ein paar Jahre jünger gewesen, hätte es ungemütlicher für mich ausgehen können. Er erklärte mir, dass sie meinen BMW und meine Kleidung einstweilen als Beweisstücke beschlagnehmen müssten und dass sie sich wieder mit mir unterhalten wollten, sobald der Coroner die Leiche untersucht hatte.
    »Das könnte in ein paar Tagen sein«, sagte Jones. »Aber ich würde nicht darauf wetten. Wahrscheinlicher ist es, dass Sie erst im neuen Jahr wieder von uns hören.«
    Daraufhin brachte er mich zur Tür.
     
    Liz tauchte ungefähr vierzig Minuten später auf. Sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der nachts um ein Uhr mit hoher Wahrscheinlichkeit wach war. Vielleicht auch der einzige Mensch, an den ich mich in einem Notfall wenden konnte. Nach Derryns Tod waren einige Leute in meiner Nähe geblieben. Sie kochten für mich, boten ihren Rat an oder saßen bei mir in der Stille des Hauses. Ich hatte keine Familie mehr, also verließ ich mich auf Leute aus meiner Journalistenzeit, auf Freunde meiner Eltern, auf Bekannte
von Derryn. Fast alle waren sehr gut zu mir – aber die meisten hatten irgendwann genug davon, den Babysitter für den traurigen Mann zu spielen. Am Ende war nur Liz übrig geblieben. Und die Ironie dabei war, dass sie Derryn nie kennengelernt hatte.
    Am Telefon erklärte ich ihr, wo sie den Reserveschlüssel für meine Wohnung fand, und bat sie, mir etwas zum Anziehen mitzubringen. Jones lieh mir eine Polizeihose und

Weitere Kostenlose Bücher