Totgesagt
dem Briefkasten. Der Umschlag war mit der Hand beschriftet, trug aber keinen Absender.
Ich duschte und riskierte einen kurzen Blick auf mein Ebenbild im Spiegel. Mein Gesicht war von Schnitten übersät, die blauen Flecke zogen sich an meinem Hals hinunter bis über die Brustmuskulatur. Mein Körper wirkte durchtrainiert, aber gezeichnet. Eine Erinnerung daran, wie sehr sie meinen Tod gewollt hatten.
Ich suchte die wärmste Kleidung heraus, die ich finden konnte: eine dunkle Jeans; eine extrawarme Trainingsjacke, die ich zum Joggen trug; ein T-Shirt; eine schwarze Jacke mit Reißverschluss und einen schwarzen Mantel, den Derryn mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Kleidung zum Wechseln packte ich in eine Sporttasche, dann nahm ich einen alten Laptop, den ich nie benutzt hatte, vom Schrank im zweiten Schlafzimmer. Der Computer hatte der Zeitung gehört, doch niemand hatte ihn je zurückhaben wollen. Im Nachtschränkchen lagen ein Ersatzhandy mit einem Restguthaben und meine Kreditkarte. Ich nahm beides, außerdem ein Messer aus der Küche, die Akten, ein Foto von Derryn, Verbandsmaterial und Pflaster, um mich provisorisch zu verarzten, sobald ich mich an einem sicheren Ort befand. Dann schaute ich mich um und verließ das Haus.
Am Ende des Gartens warf ich einen Blick die Auffahrt hinauf und sah Liz, die durch ihr Wohnzimmer ging. Dort, im Fenster ihres Hauses, entdeckte ich mein eigenes Spiegelbild. Ein Mann auf der Flucht. Eine Wunde zog sich von meinem Haaransatz nach unten. Mein Gesicht war zerbeult. Ich wirkte ausgemergelt und müde. Ich fragte mich, ob ich mir noch eine Sekunde Schlaf gestatten würde, bis die Sache hinter mir lag. Doch bis dahin konnten Tage vergehen,
Wochen, Monate. Vielleicht würde sie nie hinter mir liegen. Vielleicht hatte ich eine Kugel in der Brust, wenn ich das nächste Mal die Augen schloss.
Ich drehte mich um und machte mich auf den Weg zu Zacks Auto. Plötzlich erstarrte ich.
Jemand beugte sich zum Beifahrerfenster hinunter, die Kapuze des Mantels hochgezogen und beide Hände an die Schläfen gelegt, um das reflektierende Licht abzuhalten. Ich zog mich zurück und suchte Deckung hinter einer Gartenmauer. Der Mann schaute die Straße herab zum Haus, ohne mich zu entdecken. Dann ging er um den Wagen herum zur Fahrerseite. Er versuchte, die Tür zu öffnen. Als er ein zweites Mal vom Wagen zurücktrat, sah ich kurz sein Gesicht. Ich erkannte ihn auf der Stelle. Es war der Mann, der mein Auto auf dem Friedhofsparkplatz aufgebrochen hatte; der Mann, den ich vom Angel’s aus verfolgt hatte. Er wirkte schmuddlig und ungepflegt und sah bei Tageslicht noch dünner aus – und das bereitete mir Sorgen. Es war genau die Art von Falle, die sie liebten: Einen bestimmten Eindruck zu erwecken – zum Beispiel, dass jemand schwächer war als man selbst -, um dann alles auf den Kopf zu stellen.
Er schaute wieder zum Haus und ließ den Eingang nicht aus den Augen. Als Licht in den Schatten seiner Kapuze fiel, konnte ich sehen, wie er die Brauen zusammenzog, als würde ihm klar, dass irgendetwas vor sich ging. Vielleicht hatte er die Straße vor meiner Ankunft gründlich studiert – hatte sich eingeprägt, welche Autos dort standen und wohin sie gehörten – und bemerkte jetzt ein Puzzleteil, das nicht ins Bild passte.
Er klopfte sich an die Brust seiner Jacke, als wollte er prüfen, ob etwas Bestimmtes noch dort war. Hat er eine Pistole? Ich öffnete den Reißverschluss der Sporttasche und nahm das Messer heraus. Damit würde ich mich kaum
wehren können, es sei denn, er käme ganz nah heran, ohne mich zu entdecken. Aber alles war besser, als sich zu ergeben. Wenn ich während der letzten paar Tage eine Sache begriffen hatte, dann die, dass es völlig sinnlos war, sich zu ergeben. Sie würden mich sowieso töten, auch wenn ich ihnen gab, was sie wollten. Wenn ich kämpfte, hatte ich keine großen Chancen – aber es war besser als nichts.
Ich packte das Messer so fest ich konnte, und das Adrenalin ließ mein Herz rasen. Dann aber musterte der Mann noch einmal den Wagen, drehte sich auf dem Absatz um und entfernte sich in die andere Richtung. Ich blickte ihm nach und sah, wie er das Ende der Straße erreichte. Er drehte sich erneut um, ehe er um die Ecke verschwand.
Ich blieb in Deckung. Es war eine Falle, musste eine Falle sein. Er wusste, dass der Wagen ihnen gehörte, und wenn er in meiner Straße parkte, bedeutete es, dass ich zu Hause war. Vielleicht würde er jemanden anrufen.
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