Totgesagt
Vielleicht wollte er sich nicht allein mit mir anlegen. Vielleicht hatte er auch schon gehört, was ich mit den anderen gemacht hatte. So oder so, ich konnte nicht länger warten.
Ich stand auf, ging über die Straße, öffnete die Türen des Wagens mit der automatischen Verriegelung, rutschte auf den Sitz und drehte in derselben fließenden Bewegung den Zündschlüssel. Ich schaute in den Rückspiegel, drückte das Gaspedal durch und fuhr los. Als ich das Ende der Straße erreicht hatte, schaute ich noch einmal in den Spiegel. Keine Spur von ihm – wenigstens für den Augenblick.
30
Es gab ein Starbucks ungefähr fünf Kilometer weiter nördlich. Ich stellte den Wagen in einem Parkhaus ungefähr fünfzehnhundert Meter entfernt ab. Solange ich eines ihrer Autos benutzte, war ich leichter zu finden. An der Windschutzscheibe hatte ich den Aufkleber eines Satellitenortungssystems entdeckt. Wenn sie clever waren – und das waren sie -, würden sie die Firma anrufen und den Wagen aufspüren lassen.
Mit dem Rücken zur Wand setzte ich mich im hinteren Bereich des Cafés auf das am schlechtesten beleuchtete Sofa. Ich benutzte die kabellose Netzverbindung und loggte mich in meinen Yahoo-Account ein. In meinem Posteingang lag eine Nachricht von Cary. In die Betreffzeile hatte er Bild geschrieben. In der Mail selber stand: Das hier existiert nicht im System – wenn Sie eine weitere Kopie wollen, schwierig. Es ist verschwunden.
Ich zog die Datei aus dem Anhang auf meinen Desktop und öffnete sie. Das Foto war stark vergrößert. Ich erkannte den Rand von Alex’ Gesicht und ein Stück Fenster im Hintergrund. Ich versuchte es mit einer geringeren Vergrößerung.
Das Foto war im Labor deutlich aufgehellt worden. Alex’ Gesicht war klarer zu erkennen. Ich bemerkte die Narbe auf seiner rechten Wange, die er sich als Kind beim Fußball zugezogen hatte, und auch seine Haare waren besser zu erkennen. Sie waren noch nicht abrasiert wie zu dem Zeitpunkt, als Mary ihn gesehen hatte, aber sehr kurz geschnitten, sodass seine Kopfhaut im Licht, das durchs Fenster fiel, durchschimmerte. Cary hatte recht. Der Aufnahmewinkel war wirklich ungewöhnlich. Möglicherweise saß Alex auf
dem Bett, während der Fotograf – vielleicht Myzwik – auf dem Boden hockte.
Ich betrachtete die Aussicht, die das Fenster freigab.
Jenseits der Veranda, unter einem endlos blauen Himmel, entdeckte ich einen kleinen Fleck in der Ecke des Fotos – eine weitere blaue Stelle, allerdings in einem anderen Farbton. Ich beugte mich ganz nah an den Bildschirm vor und vergrößerte die Aufnahme ein Stück.
Meer.
Von dem Zimmer blickte man aufs Meer.
Dann fiel mir noch etwas auf. Ich brachte das Foto wieder auf die ursprüngliche Größe und zoomte auf die linke Seite der Fensterscheibe. Dort reflektierte etwas im Glas: ein Verandageländer, hinter dem sich ein mit Heidekraut bedeckter Hügel erstreckte, und ein an die Veranda genageltes Schild mit einem Schriftzug, dessen gespiegelte Buchstaben ich nicht entziffern konnte. Also ließ ich das Foto seitenverkehrt anzeigen. Nun konnte ich das Schild problemlos lesen.
LAZARUS.
Vor wenigen Tagen erst hatte ich denselben Namen auf Michaels Handy gelesen.
Ich holte mir einen zweiten Kaffee und rief Terry Dooley an, einen meiner alten Kontaktmänner bei der Met, um ihm zu sagen, dass der Astra, den ich am Tag zuvor gemietet hatte – und der immer noch in Bristol stand – gestohlen worden war.
»Monatelang höre ich nichts von dir, und dann rufst du an und erzählst mir, man hätte deinen Mietwagen geklaut?«, erwiderte Dooley. Es klang, als würde er gerade zu Mittag essen. »Was geht mich das an?«
»Ich kann leider nicht in eure Höhle kommen, um die
Sache zu melden. Also müsstest du für mich die Formulare ausfüllen.«
Er lachte. »Sehe ich aus wie eine Sekretärin?«
»Nur wenn du den Lippenstift aufgelegt hast.«
Er erwiderte etwas mit vollem Mund. Dann fuhr er fort: »Davey, mein Junge, du und ich waren uns mal in einer Sache einig: Du hast mir einen Gefallen getan und ein paar Einzelheiten durchsickern lassen, wenn es mir in den Kram passte; dafür habe ich dir Informationen verschafft zu irgendwelchen Ermittlungen, die gerade deine Fantasie beflügelten. Und jetzt?« Er legte eine rhetorische Pause ein und kaute hörbar weiter. »Jetzt hast du nichts , was ich gebrauchen kann.«
»Du schuldest mir noch was.«
»Einen Scheißdreck schulde ich dir.«
»Ich schicke dir die Einzelheiten per
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