Totgesagt
einen dieser jungen Leute aus dem Programm herausnehmen würden, weil Sie denken, auf diese Weise würden Sie ihn retten …« Er schaute mir wieder ins Gesicht. »Was glauben Sie, wohin er gehen könnte?«
Ich ließ meinen Blick durch den Kühlraum wandern.
»An einen besseren Ort als hier.«
Er musterte mich, so als wartete er darauf, dass ich mich korrigierte. Als er merkte, dass ich weder wegschauen noch weitersprechen würde, nickte er schließlich.
»Einen besseren Ort als hier«, wiederholte er leise.
Plötzlich – ich nahm nur eine undeutliche Bewegung
wahr – prügelte er mit der Geißel auf mein linkes Bein ein. Die Knoten wickelten sich um meinen Oberschenkel, hielten sich an ihm fest. Als sie sich schließlich wieder lösten, schaute ich hinunter. Eine Reihe dünner roter Male hatte sich in meine Haut geritzt. Kleine Blutstropfen traten hervor.
Doch ich spürte nichts.
»Es muss angenehm sein, keinen Schmerz zu empfinden«, sagte er mit einem Blick auf mein Bein und meinen restlichen Körper. »Können Sie sich vorstellen, ohne Schmerzen durch Ihr Leben zu gehen?«
Ich spürte ein Zucken in einer meiner Zehen. Eine seltsame Empfindung, als wären die Nervenenden schließlich doch noch entflammt worden.
Wieder neigte er den Kopf. Dabei trat ein angedeutetes Lächeln auf sein Gesicht.
»Kommt das Gefühl zurück?«
Ich betrachtete ihn.
»Es wird zurückkommen. Erst in Ihren Zehen, dann in den Füßen, dann in den Beinen. Sie werden sich langsam wieder normal fühlen, während es durch Ihre Leistengegend und dann in den Bauch kriecht …« Er hielt inne. Beugte sich vor. Stieß mit einem Finger gegen meinen Oberkörper, direkt unterhalb des Brustkorbs. »Und wenn es hier ankommt, werden Sie sich wünschen, tot zu sein.«
»Was, zum Teufel, habt ihr gemacht?«
Er lächelte, da ich so reagiert hatte, wie er es sich gewünscht hatte.
»Wir haben Sie unter Drogen gesetzt, David. Nun, genau genommen, technisch gesehen, haben wir Sie teilweise gelähmt. Keine Sorge, das hält nicht ewig an. Wahrscheinlich sollte ich Sie aber warnen, dass als Nebenwirkungen Schwitzen, Speichelfluss, Hautausschlag und Erbrechen auftreten können. Zu einem Herzstillstand sollte es eigentlich
nicht kommen … aber wie in allen Dingen kann man auch hier nicht hundertprozentig sicher sein.«
Er zog einen der Peitschenriemen heraus und hielt ihn mir vors Gesicht. Mein Blut klebte daran. Und anderes Blut: dunkler, trockener, ins Leder eingesogen. Er betrachtete die Strieme aufmerksam, drehte sie hin und her. Es gab noch mehr Blut. Die ganze Peitsche war blutverschmiert.
»Wissen Sie, was ich glaube? Ein Teil des Blutes stammt von Alex.«
Wieder lächelte er, und zum ersten Mal huschte etwas Düsteres über sein Gesicht.
»Der einzige Weg, jemanden zu ändern, besteht darin, die Versuchung aus seinem Leben zu entfernen«, fuhr er fort, wobei sein Gesichtsausdruck wieder weicher wurde. Auch jetzt blinzelte er nicht. »Wenn wir die jungen Leute, die wir herbringen, vor allem die Süchtigen, einfach auf Entzug setzten und wieder zurückschickten, wäre die Versuchung weiterhin da.«
Ein Gefühl regte sich in meinen Zehen, stärker diesmal. Ein stechender Schmerz.
Er beugte sich zu mir vor.
»Wir versprechen ihnen ein Dach über dem Kopf. Essen. Unterstützung. Eine Familie. Aber vor allem helfen wir ihnen, zu vergessen . Ihre Sucht zu vergessen. Ihre Vergangenheit zu vergessen. Glauben Sie wirklich, dass auch nur einer von denen sich an das erinnern möchte, was er getan hat? Was er durchgemacht hat? Eines von den Mädchen hier hat einen Mann erstochen, nachdem er sie vergewaltigt hatte. Denken Sie, sie möchte sich daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, als er mit Gewalt in sie eindrang?«
Ich antwortete nicht. Jetzt spürte ich etwas auf den Oberseiten meiner Füße. Es dauerte länger an, so als würde es über die gesamte Hautoberfläche wandern.
»Also helfen wir ihnen, ein Leben gegen ein anderes einzutauschen.«
Er stand immer noch gebeugt vor mir, den Kopf zur Seite geneigt.
»Wussten Sie, dass Ketamin Sie dem Tod näher bringt als alles andere, ohne dass Ihr Herz wirklich stehen bleibt? Die Leute, die es benutzen, nennen es ›K-Hole‹. Wir mischen es mit ein wenig Dimethyltryptamin … und nennen es eine Auferweckung.«
»Sie sind verrückt.«
»Wenn wir sie auferwecken«, fuhr er fort, ohne meine Bemerkung zu beachten, »haben manche Teilnehmer unseres Programms das Gefühl, als würden sie
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