Totgesagt
Tochter noch zum Bestattungsinstitut fahren, um die Beerdigung in die Wege zu leiten. Die beiden gingen auch schon zu ihrem Auto, als Helen plötzlich stehen blieb und sich umdrehte.
“Augenblick mal! Was wird denn aus Sarge?”
“Sarge?”, fragte Madeline.
“Sein Kater. Einer muss sich ja um das Tier kümmern.”
Dass Bubba eine Katze hatte, war Madeline neu. Jetzt wusste sie auch, woher der eklige Geruch in dem Wohnwagen stammte. “Aber sicher.”
“Der schläft wahrscheinlich hinten im Kabuff.”
“Ich hole ihn.” Helens Tochter zwängte sich schon an Madeline vorbei, kehrte dann jedoch nicht etwa mit der Katze wieder, sondern mit einem kleinen Terrarium. “Sarge ist da nicht. Aber Onkel Bubbas Tarantel, die muss doch auch mit, nicht wahr, Mama?”
Ihre Mutter verrenkte sich fast den Knöchel, so eilig hatte sie es, außer Reichweite der Spinne zu kommen. “Bloß nicht! Bleib mir mit dem Tier vom Leibe. Das kommt mir nicht ins Auto!”
Madeline hatte für Spinnen ebenso wenig übrig wie Helen, besonders für große, haarige und giftige Exemplare. Allerdings konnte man das Tier schlecht in dem verwaisten Wohnwagen lassen. Es war nicht abzusehen, wann Helen dazu kommen würde, die Sachen ihres Bruders zu sichten. Das mochte noch gut zwei Wochen dauern, und keiner wusste, wann die Spinne ihre letzte Mahlzeit erhalten hatte, wann die nächste fällig war – und was so eine Spinne überhaupt zu fressen bekam.
Bei ihrer Arachnophobie hätte sie am liebsten gar nicht hingeguckt, aber dann nahm sie das Terrarium doch an sich. “Ach, geben Sie her. Ich sehe mal zu, ob einer der Nachbarn sich erbarmt. Da kann ich auch gleichzeitig nach dem Kater Ausschau halten. Wie hieß der noch gleich?”
“Sarge”, sagte die Tochter. “Ist so ein großer weißer, fluffiger.”
“Alles klar.” Madeline verdrängte jeden Gedanken an das achtbeinige Ungetier in dem Glaskasten, den sie sich da unter den Arm klemmte. “Gut, dann fahrt mal los, ihr zwei. Ihr werdet sicher schon bei Cutshall erwartet.”
Den Blick nach wie vor auf die Spinne gerichtet, hielt sich Helen vorsorglich auf Distanz. Trotzdem merkte Madeline, wie ehrlich und erleichtert sie sich bedankte und wie froh sie war, dass sie ihre Hilfe angeboten hatte.
“Keine Ursache”, winkte sie ab. “Das verschafft mir Gelegenheit, von den Nachbarn noch ein paar Zitate zu bekommen, die wir dann mit in den Nachruf aufnehmen.”
“Das wäre schön”, betonte Helen, die nun eilig nach dem Türgriff ihres Wagens langte, als könne sie gar nicht schnell genug entkommen. “Die Nachbarn, die waren ja seine einzigen Freunde, wissen Sie.”
Madeline ließ das Terrarium unter den anderen Arm wandern, damit sie zum Abschied winken konnte. Nachdem Helen dann den Wohnwagenplatz verlassen hatte und ihre Rücklichter entschwunden waren, hielt Madeline sich die Spinne möglichst weit vom Körper und überlegte, welcher Nachbar wohl am ehesten für eine arachnoide Adoption geeignet sein könnte.
In dem Moment bemerkte sie eine flüchtige Bewegung hinter Rays Fenster. Also war er zu Hause und fragte sich vermutlich, was dieser Menschenauflauf zu bedeuten hatte. Bemüht, das Terrarium nicht zu sehr zu schaukeln, ging sie hinüber zu Rays Behausung.
“Von wegen ‘ach, geben Sie her’ …”, murmelte sie sarkastisch, aber gleichzeitig tat ihr Helen so leid, dass sie ihr diesen kleinen Gefallen ruhig tun konnte.
An dem mobilen Bungalow angelangt, rechnete sie eigentlich damit, dass Ray hinauskommen und sie begrüßen werde. Gesehen hatte er sie auf jeden Fall. Aber er ließ sich nicht blicken.
Schließlich klopfte sie an die Tür, wobei sie um ein Haar den Glaskasten fallen ließ. “Ray?”
Als er auftauchte, sah er unrasiert und zerzaust aus. Das war an sich nicht ungewöhnlich, denn er trieb sich nächtelang herum und hatte ein Alkoholproblem.
“Tag, Maddy.” Er beäugte sie aus verquollenen Augen und lächelte so sympathisch wie immer. “Wie geht’s?”
“Ach, so einigermaßen.” Schon wieder musste sie das klobige Terrarium zurechtrücken.
Seine grau melierten buschigen Brauen waren viel zu lang. Stirnrunzelnd musterte er das Objekt, das sie unter dem Arm hielt. “Was hast du da denn?”
“Bubbas Spinne.”
“Ist was mit Bubba?”, fragte er. “Hab vorhin den Streifenwagen gesehen.”
Den Leichenwagen demnach anscheinend nicht. “Tut mir leid, dass ich dir das sagen muss, Ray. Ich weiß, ihr wart befreundet, Bubba und du …” Auf einmal
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