Totgesagt
war ihr die Kehle wie zugeschnürt. Dabei hatte sie den ganzen Morgen nicht eine Träne vergossen. Jetzt hingegen, da der Druck von ihr abfiel … “Bubba ist tot”, würgte sie hervor.
Ray fiel die Kinnlade herunter. Geraume Zeit strich er sich über den Schnurrbart, ehe er etwas erwiderte. “Ist ja furchtbar! Was ist denn passiert?”
“Offenbar Herzinfarkt.”
“Er war halt viel zu schwer. Krankhaft übergewichtig.”
Nickend verkniff sie sich die Tränen. Gewiss, dieser tragische Todesfall betraf sie nicht so persönlich wie die anderen Ereignisse der vergangenen Wochen. Aber sie hatte Bubba gemocht und ihn fast jede Woche beim Gottesdienst gesehen. Er war jovial und nett und meldete sich immer in Windeseile, wenn es etwas Brandaktuelles zu berichten gab. Ja, er sah sich sogar selber als eine Art Journalist –
hatte
sich so gesehen, genauer gesagt. Kaum zu fassen, dass man von jetzt an die Vergangenheitsform benutzen musste, wenn es um ihn ging. Ein begnadeter Schreiberling war er nicht gewesen, dazu hatte es ihm an der nötigen Bildung gefehlt. Das Manko hatte er aber durch Begeisterung wettgemacht, und außerdem hatte er irgendwie zum Sozialgefüge der Stadt dazugehört.
Und jetzt war er nicht mehr.
“Seine Schwester hat Angst vor Spinnen …” – so ganz vermochte sie den Schauder nicht zu unterdrücken, der sie überlief, als ihr Blick flüchtig auf die Tarantel fiel – “… und sucht jetzt nach einem guten Heim für … für sein Haustier.”
Ray starrte sie ungläubig an. “Ich soll Terrence Trent nehmen?”
“So heißt die?”
“Genau! Bubba und ich, wir waren dicke Freunde, klar. Nur … so ‘n richtiger Tierfreund bin ich nicht.”
“Ich bin zwar auch keine Expertin, aber Taranteln gelten als ziemlich pflegeleicht.”
“Na dann …” Wieder fuhr er sich über den Schnurrbart. “Probieren wir’s mal.”
Erleichtert überließ sie ihm das Terrarium. “Ich kann dir gar nicht genug danken.”
Er lächelte. “Nicht der Rede wert.”
Sie atmete tief durch. Der erste Auftrag war erledigt. Jetzt brauchte sie bloß noch den verflixten Kater zu finden. “Du hast nicht zufällig Sarge gesehen?”
“Ist der nicht drüben?”
“Nee, eben nicht.”
“Ist wahrscheinlich auf Tour und stromert rum. Der taucht schon wieder auf. Ich achte drauf, okay?”
“Rufst du mich an, wenn du ihn findest?”
“Klar.” Er zögerte. “Du siehst aus wie’s Leiden Christi. Möchtest du vielleicht auf eine Tasse Kaffee reinkommen?”
Madeline beäugte die Spinne. “Aber nur, wenn du das Viech ganz nach hinten packst.”
“Ach, stell dich nicht so an. Terrence ist so harmlos wie ich.”
“Das Ding ist mir unheimlich. Aber ehe du dir bei dieser Kälte noch in der offenen Tür den Tod holst, komme ich lieber rein. Ich wollte dich sowieso bitten, mir noch ein bisschen was über Bubba zu erzählen. Ich soll seinen Nachruf schreiben, und du kanntest ihn ja besser als ich.”
“Sicher, gern. Bubba war ‘n prima Kerl.” Er trat einen Schritt zurück und hielt ihr die Tür auf. “Hereinspaziert, raus aus der Kälte.” Dabei lächelte er so breit, dass man seine nikotinverfärbten Zähne sah. Und in seinem Mobilheim roch es beinahe genauso streng wie in dem von seinem Freund. Egal, lange gedachte Madeline ohnehin nicht zu bleiben.
“Wie möchtest du deinen Kaffee?”, fragte er.
Auf der Küchenplatte standen noch Teller mit verschimmelten Essensresten; schmutziges Geschirr türmte sich in der Küchenspüle, und unter dem Kühlschrank hatte sich eine klebrige Pfütze ausgebreitet. “Danke, lass nur. In meiner augenblicklichen Verfassung macht mich der nur noch rappeliger.”
“Lieber einen Tee?”
“Ach, eigentlich brauche ich nichts. Geht schon.” Sie blieb vor einem Bild von Rose Lee stehen, das in einem billigen Rahmen an der Wand hing. Hunters Fragen zu der Beziehung zwischen ihrem Vater und dem Mädchen fielen ihr ein. Sie lagen ihr schwer im Magen, denn zu den Dingen, die Hunter ihm da unterstellte, war ihr Dad überhaupt nicht fähig gewesen. Man konnte nur beten, dass ihr Detektiv das bald herausfinden würde.
“Fehlt sie dir noch immer?”, fragte sie. Mit einem Male wurde ihr erst richtig bewusst, wie schwer Ray unter dem Tod seiner Tochter gelitten haben musste. Er mochte nicht immer der ideale Vater gewesen sein, aber er und Rose Lee hatten sich besser verstanden als die meisten anderen Eltern und Kinder. Als Madeline die Kleine das letzte Mal sah, da hatte sie auf
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