Totgesagt
Wenn aber nicht, lief er blindlings ins Dunkle hinein; weiß der Teufel, wohin er dann geraten mochte. Klar, er konnte sie die ganze Nacht durch den Wald jagen, aber das wäre idiotisch gewesen.
Also musste er sie zurück ins Blockhaus locken. Und dazu fiel ihm nur eine einzige Lösung ein: Er musste sie glauben machen, dass er aufgab.
Er kletterte in seinen Pritschenwagen, ließ den Motor an und setzte zurück in Richtung Landstraße. Nach etwa hundert Metern hielt er an, inzwischen noch mehr in Weißglut als ohnehin schon. Irgendwann musste sie raus aus ihrem Versteck, sonst würde sie erfrieren.
Als Madeline hörte, wie der Diesel ansprang, traute sie ihren Ohren nicht. Was denn – haute Ray einfach ab? Hatte sie ihn etwa außer Gefecht gesetzt? Sie mochte es nicht recht glauben. Mit etwas Glück hatte sie ihn vielleicht dort getroffen, wo’s richtig wehtat, aber für mehr hatte ihre Kraft einfach nicht gereicht.
Hatte er Angst, sie könne womöglich Hilfe finden und ihm die Polizei oder den Sheriff auf den Hals hetzen? Auch das war wenig wahrscheinlich, jedenfalls in der unmittelbaren Zukunft. Er wusste ja, sie hatte nicht den geringsten Schimmer, wo sie sich hier befand. Er hatte sie geknebelt, gefesselt und unter der Plane hergefahren. Noch mehr als unter solchen Umständen konnte man die Orientierung gar nicht verlieren.
Und wenn schon! Sie konnte zwar nicht ausrechnen, was er vorhatte, aber sie musste ins Warme, brauchte ein Dach über dem Kopf, und es gab nur einen Ort, der beides bot. Das bedeutete allerdings, dass Ray sie erwischen würde, falls er zurückkehren sollte.
Sie musste sich also etwas einfallen lassen. Und zwar schleunigst.
Die Axt hinter sich her ziehend, humpelte sie auf das Blockhaus zu.
Ray wartete so lange ab, bis er einigermaßen risikolos die Taschenlampe einschalten konnte, um den Weg zurück zum Blockhaus zu finden. Eigentlich war das Ding sogar überflüssig, denn während er der schmalen, gewundenen Zufahrt folgte, sah er schon aus der Distanz, dass Madeline ein Feuer angezündet hatte. Das Flackern im Vorderfenster wirkte wie ein Leuchtstrahl, wie ein einladendes “Willkommen daheim”. Sie hatte sich also ins Haus verzogen, die Ärmste! Um sich aufzuwärmen.
Grimmig verzog er das Gesicht. Na, der würde gleich ordentlich warm werden, aber hallo! Er würde ihr so lange die Hand ins Feuer halten, bis die nur noch ein verkohlter Stumpf war. Vermutlich wurde das Luder dabei ohnmächtig, doch wenn sie dann zu sich kam, hatte sie hoffentlich kapiert, wer hier der Chef im Ring war.
Das würde ihr die widerborstigen Mätzchen ein für alle Mal austreiben.
Nachdem er lautlos aufs Eingangspodest geschlichen war, spähte er durchs Fenster. Und siehe da! Tatsächlich, sie lag schlafend vor dem Kamin! In die ganzen Decken gehüllt, die er im Kleiderschrank auf sie draufgepackt hatte.
Na, das wurde ja noch einfacher als gedacht!
Er legte die Hand auf den Drehknauf. Abgeschlossen! Doch das ließ sein Grinsen nur noch gehässiger werden. Denn er hatte den Schlüssel.
Endlich wurde es Madeline wärmer. Auch ihre Hände und Füße, wenngleich nach wie vor geschwollen, waren wieder zu spüren. Sie konnte nicht sagen, wie viel Zeit nach Rays Abfahrt vergangen sein mochte, doch seitdem war kein Laut an ihr Ohr gedrungen. Allmählich wurde es ihr schon fast zu gemütlich. Bleierne Müdigkeit setzte ihr derart zu, dass sie kaum die Augen offen zu halten vermochte. Inzwischen kämpfte sie schon so lange gegen den Schlaf an, dass es ihr wie eine Ewigkeit vorkam.
Vielleicht war er ja tatsächlich abgehauen! Vielleicht kam er wirklich nicht mehr wieder …
Durchhalten, feuerte sie sich an. Wach bleiben! Auch wenn sie den Schlaf dringend brauchte.
Noch einmal überprüfte sie das vor dem Kamin zurechtgelegte Deckenbündel, um auch ganz sicherzugehen, dass es möglichst echt wirkte. Gerade ließ sie sich mit dem Rücken zur Wand zu Boden gleiten, da hörte sie ein ganz leises Knarren … und sachte, ganz sachte bewegte sich der Türknauf.
Schlagartig hellwach, zog sie die Beine unter den Körper und presste sich noch dichter an die Wand. Eine Gänsehaut kroch ihr über die Arme, als Ray durch das neben der Tür gelegene Fenster spähte. Sie hielt den Atem an und hoffte, er möge das Deckenbündel sehen, vor allem auch das danebenliegende Halsband, denn das sollte sozusagen als Hinweis dienen und ihm verdeutlichen, dass sie sich ihm nicht fügen werde. Sie würde kämpfen bis zum Letzen und
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