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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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stehende Axt greifen und damit auf ihn losgehen können, war dazu aber zu kraftlos. Da hätte sie einen ordentlichen Hieb kaum zustande gebracht. Womöglich hätte er ihr die Waffe sogar noch entrissen. Zudem war sie ja noch an den Knöcheln gefesselt.
    So überstürzt zu handeln, das wäre dumm gewesen. Damit hätte sie sich vielleicht ihre einzige Chance versaut.
    Geduld!
Heftig schluckend öffnete und schloss sie ihre kribbelnden Hände, um die schmerzhaft einsetzende Durchblutung zu fördern, und nestelte weiter am verbleibenden Knoten herum. Mit den Füßen konnte sie nicht so wackeln und drehen wie mit den Händen, weil das zu viel Lärm verursacht hätte. Die Aufgabe war somit ungleich schwerer. Offenbar ahnte Ray, dass sie sich ganz in der Nähe befand. Er blieb reglos auf dem Eingangspodest stehen, nur Schritte von ihr entfernt.
    Die Spannung im Fußstrick ließ fühlbar nach; fast war sie die Fesseln los. Dann wollte sie sich vorsichtig wegschleichen, sich irgendwie zur nächstgelegenen Zivilisation durchschlagen – und dabei beten, dass sie unterwegs nicht erfror. Doch beim Hochstemmen musste sie wohl einen Laut von sich gegeben haben, denn mit einem Male flammte die Stablampe auf – und zwar derart hell, dass Madeline geblendet die Augen schloss.
    Als Ray sich auf sie stürzte, stieß sie einen gellenden Schrei aus und prallte rückwärts gegen den Brennholzstapel. “Nicht!” Selbst in den eigenen Ohren klang ihre Stimme unkenntlich. Immerhin war Madeline so geistesgegenwärtig, ordentlich auszuholen und zuzutreten, so fest sie konnte. Anscheinend hatte sie ihn taktisch an der richtigen Stelle getroffen, denn er ließ die Stableuchte fallen und sackte in die Knie.
    Panisch rappelte sie sich hoch und wandte sich zur Flucht, spürte allerdings ihre Füße nicht. Sie stürzte, knallte mit dem Knie auf die Podestkante, raffte sich erneut auf und fiel wieder hin.
    “Dich mache ich fertig!”, röchelte er.
    Noch nie hatte sie einer dermaßen brutalen Todesdrohung gegenübergestanden. Hastig griff sie nach der nun in Reichweite liegenden Lampe, packte die Axt und humpelte, mühsam das Gleichgewicht haltend, unbeholfen ums Haus herum.
    Sie hörte, wie er ihr hinkend hinterherkam, nach wie vor schnaufend und fluchend vor Schmerz. Rasch machte sie die Lampe aus, die ja wie ein Leitstrahl fungierte. Jetzt musste er sie nach Gehör verfolgen.
    Der Wald ringsum stand dunkel und still, zu finster, um sich zügig davonzumachen. Sie hätte sich den Knöchel verstauchen können, wäre vielleicht in eine Rinne getreten oder in einen Bachlauf gestürzt. Notgedrungen langsam gehend, schaute sie sich um, sah und hörte jedoch nichts. Sie hätte sich liebend gern einen Vorsprung erarbeitet, um sich irgendwo zu verstecken und bis zum Morgen auszuharren. Das war indes gegen alle Vernunft. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren; es konnte noch Stunden dauern bis zum Morgengrauen, und es war viel zu frostig, um die Nacht im Freien zu verbringen. Ohne Winterstiefel und warme Kleidung überlebte man bei diesen Bedingungen keine drei Stunden. Außerdem kannte sie sich hier überhaupt nicht aus und wusste daher nicht, in welche Richtung sie fliehen sollte. Das Risiko, im Kreise herumzuirren, über einen Abhang zu stürzen, sich hoffnungslos zu verlaufen oder ohne es zu merken wieder am Blockhaus zu landen, war viel zu hoch.
    Nein, ohne fremde Hilfe würde sie Ray wohl nicht so schnell abschütteln können. Erst einmal musste sie ins Warme, sich ein Transportmittel besorgen. All das blieb ihr verwehrt, solange er ihr im Wege stand. Folglich musste sie etwas unternehmen, um diese Situation zu ändern, und zwar je schneller, desto besser. Je länger sie wartete, desto durchgefrorener und entkräfteter würde sie werden.
    Ins Blockhaus kannst du nicht zurück!
Wegen des Schlafmittels war sie immer noch nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte, und vor lauter Mattigkeit bekam sie ja kaum die Axt hoch. Sie war schon drauf und dran aufzugeben, sich wie ein Häuflein Elend in den Schnee sacken zu lassen. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit hatte sie nicht verdient. Sie hatte doch nichts verbrochen!
    Egal: Wollte sie überleben, musste sie ihn ausschalten, bevor er sie erwischte.
    An die Blockhauswand gelehnt, schnaufte Ray erst einmal tief durch, um sich von diesem Schock zu erholen. Was nun? Verfolgen war ausgeschlossen. Zwar hatte er noch eine Ersatzleuchte im Handschuhfach, doch wenn er die benutzte, wusste Madeline gleich, wo er war.

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