Totgesagt
durch ihren Kreislauf schießende Adrenalin und die Kälte. Die betäubten nämlich die Schmerzen und sorgten für die notwendige Konzentration, damit ihre Fähigkeiten und ihr Urteilsvermögen nicht verloren gingen, obwohl ihr ganz schummrig im Kopf war. Sie musste sich der Fesseln entledigen, koste es, was es wolle.
Ich schaffe es … ich packe das!
Sie durfte sich nicht von Ray den Schneid abkaufen lassen. Sie war nicht seine Sklavin. Auch keine Sklavin der Angst.
Aber wo ist er? Und was macht er?
Wie zur Antwort vernahm sie ein Geräusch. Kurz darauf flammte der Strahl einer Taschenlampe auf.
Er war da. Und sie noch nicht so weit.
25. KAPITEL
D er Lichtstrahl schwenkte nur wenige Zoll an Madelines Zehen vorbei. Sie war überzeugt, dass Ray sie gesehen hatte, gab aber trotzdem keinen Mucks von sich. Selbst mit weit aufgerissenen Augen konnte sie seine Umrisse nicht einmal annähernd ausmachen, so stockdunkel war es. Allein der Strahl der Taschenlampe durchbrach diese Schwärze, und zu hören war nichts außer dem Knarren des hölzernen Podests unter Rays immer näher kommenden Schritten.
Sie kniff die Augen fest zu, wandte das Gesicht ab und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Doch der Strahl landete immer noch nicht auf ihr. Sie hörte, wie Ray die Haustür öffnete, kurz an der Schwelle stockte und dann eintrat.
Wieder einige Sekunden gewonnen!
Unter Aufbietung ihrer letzten Kraftreserven säbelte Madeline weiter an den ihre Handgelenke einschnürenden Stricken. Wahrscheinlich hätte sie es ebenso gut mit den Zähnen versuchen können, so stumpf war die Axtklinge. Da plötzlich spürte sie, wie das Seil etwas nachgab. Oder bildete sie es sich nur ein?
Ray war noch im Haus. Was er da tat, war ihr schleierhaft, doch sie hörte ihn rumoren und wusste: Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Fieberhaft machte sie weiter, zerrte und drehte die Hände, bis ihr die Handgelenke derart schmerzten, dass ihr beinahe schwarz vor Augen wurde. Doch schließlich zahlte sich ihre Mühe aus: Irgendwie hatte sie es geschafft, den Strick so weit durchzuschneiden, dass sie unter Schmerzen eine Hand aus der Schlinge ziehen konnte. Die brauchte sie dann bloß noch von der anderen Hand abzuschütteln, und schon war sie frei. Rasch riss sie sich den Knebel aus dem Mund und machte sich ans Lösen der Fußfesseln.
Leider war die Kälte nun nicht mehr mit ihr im Bunde. Madeline schlotterte heftig am ganzen Körper; die Finger waren dermaßen angeschwollen und steif, dass sie sie kaum benutzen konnte. Vergebens fummelte sie an dem Knoten herum.
Sollte sie lieber versuchen, sich von der Blockhaustür wegzuschleichen? Zur Seite hin, wo sie nicht ganz so angreifbar war? Sie hätte es gern gemacht, traute sich jedoch nicht. Sie fürchtete, der Lärm könne Ray herauslocken. Da blieb sie besser an Ort und Stelle und bemühte sich weiter, die Fesseln loszuwerden, sich still und heimlich davonzustehlen. Selbst wenn er sie dann erwischte, konnte sie immerhin davonlaufen oder sich wehren. Zudem hatte sie jetzt die Axt.
Ein verräterisches Knarren ließ sie jäh erstarren. Er war wieder an der Tür. Diesmal allerdings ohne Taschenlampe, und außerdem kam es ihr so vor, als bewege er sich ganz verstohlen. Wieso? Wollte er ihr auflauern? Oder meinte er, der Lichtschein gebe zu sehr seine Position preis?
So oder so – ohne den Lampenschein war der Vorteil auf ihrer Seite. Jetzt konnte Ray nämlich ebenfalls nichts sehen. Sie musste bloß aufpassen, dass sie nicht, sobald sie die Beine wieder bewegen konnte, aus Versehen mit ihm zusammenstieß.
Ihr war, als höre sie abermals, wie er sich bewegte. Nur in welche Richtung, das ließ sich nicht erkennen. Aber er war ganz in der Nähe, das ahnte sie förmlich. Möglicherweise stand er nur einen Schritt entfernt, die Ohren gespitzt, alle Sinne geschärft.
Nachdem sie die Finger etwas gedehnt und gelockert hatte, machte sie sich wieder an dem Knoten zu schaffen.
Nur keine Panik! Achte nicht auf ihn! Taste nach einem losen Ende des Knotens, aber geräuschlos! Dann ziehen, genau! So wird’s gemacht!
Beim nächsten Knarren lief es ihr eiskalt über den Rücken. Dem Geräusch nach stand Ray ihr inzwischen so nah, dass sie ihn quasi berühren konnte. Er stieß sogar einen Scheit vom Holzstoß herunter – aus Versehen vermutlich –, und um ein Haar wäre der Klotz ihr aufs Bein gepurzelt.
Beide Hände schützend über den Kopf gewinkelt, kauerte sie regungslos im Schnee. Sie hätte die hinter ihr
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