Totgesagt
ein Kamm in den Polsterritzen. Irgendein Hinweis, eine Spur.” Mit Hingabe verfolgte sie die einschlägigen Crime-Scene-Serien im Fernsehen. Falls nötig, zeichnete sie die einzelnen Folgen sogar auf. Daher hatte sie am Bildschirm miterlebt, wie Dutzende von Fällen durch mikroskopisch kleine Beweismittel aufgeklärt worden waren.
“Wie gesagt, wir überprüfen das, aber …” Er ließ den Satz unvollendet.
“Ach, Maddy”, sagte Grace leise.
Madeline antwortete ihrer Stiefschwester nicht. Mit Rücksicht auf ihre Familie wollte sie nicht unnötigen Ärger provozieren. Und hier erst recht keine Szene machen. Grace hatte ihretwegen schon Stress genug und auch in der Vergangenheit bereits eine Menge durchgemacht. Immerhin warf sie ihr nicht direkt vor, die Schuld am Verschwinden ihres Vaters zu tragen. Ganz konnte Madeline aber doch nicht aus ihrer Haut. Zumindest diesmal schaffte sie es nicht, sich gänzlich zu beherrschen. “Bastele dir keine Ausreden zurecht, ehe du überhaupt angefangen hast”, fauchte sie Pontiff an. “Finde lieber was! Ich will die Wahrheit! Ich muss wissen, was passiert ist!” Sie griff ihn beim Arm. “Los, mach dich an die Arbeit!”
Der Chief blinzelte verblüfft, und Clay zog Madeline geistesgegenwärtig zurück. “Komm, lass das doch, Maddy”, raunte er, die Lippen dicht an ihrem Haar.
Hätte ein anderer das von ihr verlangt – sie hätte sich wohl nicht so schnell wieder gefangen. Doch ungeachtet des Gefühlswirrwarrs, das in ihrem Inneren tobte, mochte sie ihren Stiefbruder zu sehr, um sich seinem Wunsch zu widersetzen und ihn womöglich noch zu blamieren. Das Gesicht an seine Brust gepresst, brach sie in Tränen aus und weinte, wie sie seit Kindertagen nicht mehr geweint hatte: herzzerreißend schluchzend; am ganzen Körper zitternd.
Er drückte sie an sich. “Ist ja gut”, flüsterte er. “Es ist alles okay.”
“Du lässt dich von einem Mörder umarmen!”, fauchte Joe.
“Halt einfach nur dein böses Maul!”, blaffte sie ihn an, denn gerade Clay war es zu verdanken, dass die Familie jene dunklen Jahre nach dem Verschwinden des Vaters einigermaßen heil überstanden hatte. Wäre er nicht gewesen, hätte alles womöglich in einer Katastrophe geendet.
“Entschuldige”, murmelte sie, denn sie wollte ihn aus der Schusslinie haben. Sie wusste ja, dass er nur sein Leben leben und endlich Ruhe finden wollte. Ach, wenn sie doch selbst nur alles einfach vergessen könnte! Versucht hatte sie es. Es klappte aber nicht.
“Du brauchst dich nicht zu entschuldigen”, brummte er.
Schniefend löste sie sich von ihm und strich sich blitzschnell mit der Hand über beide Wangen. “Ich fahre am besten nach Hause.”
“Sollten wir etwas finden, rufen wir dich an”, sagte Pontiff.
Joe und sein Bruder trieben sich weiter herum, aber ein Blick von Clay reichte, um sie ganz nach außen zu drängen, wo sie ruhelos im Kreis gingen, wie Schakale um einen Kadaver. Bestimmt wären sie gern dichter herangekommen, um auch noch ihren Senf dazuzugeben, trauten sich aber nicht.
Madeline ging zu ihrem Wagen. Die Polizei versprach immer, sie würde weiterbohren, weiterermitteln, die Akten noch einmal sichten und das ganze Blabla. Etwas Konkretes fand sie jedoch nie. Die Wahrheit war ihr im Grunde egal. Der Polizei reichte es völlig aus, den Montgomerys etwas anhängen zu können, nur um die Vincellis, die in der Stadt über beträchtlichen politischen Einfluss verfügten, zufriedenzustellen. Sicher, Pontiff war ein recht guter Bekannter von Madeline, stand aber unter demselben politischen Druck wie seine Vorgänger und würde vermutlich irgendwann auch in dieser Hinsicht in deren Fußstapfen treten. Eine Veränderung war nicht zu erwarten.
Madeline war nicht gewillt, das noch länger hinzunehmen. Allmählich musste man zu offensiveren Mitteln greifen und etwas unternehmen, um endlich Antworten zu erhalten. Sie hatte auch schon eine recht genaue Vorstellung, was zu tun sei. Ihrer Stieffamilie hingegen würde ihr Plan bestimmt nicht gefallen. Und keiner konnte Madeline garantieren, dass er überhaupt funktionierte.
2. KAPITEL
M adeline hätte im Moment zu gerne Kirk angerufen. Seit sie auseinandergegangen waren, hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Sie befürchtete nur, dass sie wieder in den alten Trott verfallen würde, falls sie sich schon wieder ins Bequeme und Angenehme flüchtete. Für Kirk und sie bestand auf lange Sicht ohnehin keine realistische Aussicht auf ein
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