Totgeschwiegen (Bellosguardo)
anderen Schüler noch beim Frühstück und so konnte keiner sehen, wie sie sich verzweifelt bemühte, ihre Fassung zu wahren. Auf keinen Fall konnte sie gleich verheult in den Unterricht gehen.
Auf einmal spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Domenik stand vor ihr.
„Warum warst du letzte Nacht nicht bei mir?“
„Ich dachte ... Ich dachte du wärst sauer und wolltest mich nie wieder sehen ...“, stotterte Anna vor sich hin.
„Das habe ich nicht gesagt. Mir hat nur gar nicht gefallen, was ich rausbekommen habe.“
„Aber du hast auf meine Entschuldigung nicht reagiert.“
„Was hätte ich denn sagen sollen?“
„Dass du mir verzeihst?“
„Das kann ich nicht so einfach. Du musst mir schon zeigen, dass es dir ehrlich leid tut.“
„Wie soll ich ...“ In dem Moment öffnete sich die große Tür des Speisesaals und ein Schwung Schüler kam heraus.
Domenik strich ihr m it dem Daumen über die Wange, wandte sich von ihr ab und ging in Richtung seines Unterrichtsgebäudes.
Anna sah ihm verwirrt nach. Was meinte er mit: Ich muss ihm „zeigen“, dass es mir leid tut?
Sollte sie sich Lara anvertrauen ? Bis vor kurzem hatten sie wie selbstverständlich alle Jungs-Themen besprochen. Aber sie konnte ihrer besten Freundin nicht sagen, dass Domenik sie eine Hure genannt hatte. Lara würde ausflippen.
Nein, ihren Streit mit Domenik musste sie allein lösen. Und das so schnell wie möglich. Übermorgen war der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien und dann würden sie sich zwei Wochen lang nicht sehen.
Sie könnte es nicht ertragen , im Streit mit ihm auseinander zu gehen. Also musste sie es wieder gut machen. Mit Sex? Meinte er das?
10
„Ich weiß ja nicht, wie es hier vorher ausgesehen hat, aber das Haus ist wirklich schön.“
„Ja, Mama, ich bin auch ganz glücklich, dass wir sogar noch die neue Küche vor Weihnachten bekommen haben.“
Isabelle strich zufrieden über die eben angelieferte tiefschwarze Granitplatte in ihrer nagelneuen Küche. Ja, jetzt war es endlich ihre Küche. Und auch die restlichen Zimmer, bis auf Annas und Katharinas Zimmer, waren nicht wiederzuerkennen.
Alexander hatte sein Wort gehalten und ihr freie Hand gelassen. Er war mit ihr gemeinsam durch die Möbelläden gestreift und sie hatten wirklich Glück gehabt und Ausstellungsstücke ohne große Lieferzeit bekommen. Jetzt fehlten nur noch die Badezimmer und ein paar Kleinigkeiten, die erst im neuen Jahr angeliefert werden würden. Aber das Wichtigste war geschafft. Das Haus sah nicht mehr aus wie ein Möbellager. Das Wohnzimmer hatte jetzt eine schöne Sitzecke, bestehend aus einer tollen cremefarbenen Eckcouch, einem passenden Hocker und einem Couchtisch aus dunklem alten Holz. Es sah richtig gemütlich aus. Der Weihnachtsbaum würde vor der großen Terrassentür stehen. Das Einzige, was sie gelassen hatte, war der alte Esstisch. Die modernen Designerstühle waren bequemen, mit dunklem Leder bezogenen Stühlen gewichen.
Die größte Herausforderung war allerdings das Schlafzimmer gewesen.
Isabelle hatte anfangs mit dem Gedanken gespielt, dauerhaft in dem Gästezimmer zu schlafen. Allerdings war diese Idee bei Alexander ziemlich schnell auf Ablehnung gestoßen.
„Mach aus d em Schlafzimmer was du willst, aber ich möchte in diesem Raum weiter schlafen. An dieses Zimmer grenzt ein großes Badezimmer und ich habe keine Lust, jeden morgen über den Gang zu laufen, um ins Bad zu gelangen. Abgesehen davon ist der Blick aus dem Zimmer herrlich.“
Er hatte ja recht. Irgendwie war es Isabelle auch etwas affig vorgekommen, auf das schönste Schlafzimmer im Haus zu verzichten, nur weil früher einmal Katharina dort geschlafen hatte. Wenn sie so anfangen würde, dann dürfte sie eigentlich gar nicht hier sein. Also hatte sie ein neues Bett und neue Nachttische gekauft. Den Schrank hatte sie stehen lassen, er passte einfach perfekt ins Zimmer.
Katharinas Kleidung, die bei ihrem ersten Besuch noch dort gehangen hatte, war von Alexander in Kisten verpackt worden.
Sie hatte gemerkt, dass ihm das schwer gefallen war und ihm ihre Hilfe angeboten. Aber wie mit seinen Besuchen auf dem Friedhof, wollte er sie bei solchen Gelegenheiten nicht dabei haben.
Und sie konnte das auch verstehen. Wenn sie in seiner Situation gewesen wäre, hätte sie das auch alleine machen müssen.
„Ich hoffe nur, dass Alexander Anna ein wenig vorbereitet hat, dass wir soviel verändert haben.“
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