Totgeschwiegen (Bellosguardo)
Nachdenklich schenkte Isabelle ihrer Mutter noch etwas Tee nach.
„Wegen Anna machst du dir ziemlich Sorgen, oder?“ Ihre Mutter bedachte sie mit einem kritischen Blick und nippte an dem heißen Getränk.
„Ja, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie begeistert ist, wenn sie in ein paar Tagen hier ankommt und erfährt, dass ihr Vater geheiratet hat und die neue Frau, die sie ja noch gar nicht kennt, das ganze Haus neu eingerichtet hat. Vor allem , weil Alexander immer sagt, dass Anna so sensibel ist.“
„Tja.“ Mehr sagte ihre Mutter nicht.
Warum habe ich das gerade überhaupt gesagt? Jetzt kommt gleich wieder die Leier, dass wir viel zu überstürzt geheiratet haben.
„Alexander wird schon wissen , was richtig ist. Ich hoffe, ihr werdet ein friedliches Weihnachten verleben.“ Doch Isabelle kannte ihre Mutter und wusste nur zu gut, dass sie immer noch beleidigt war, weil sie ausgeladen worden war. Um sie zu besänftigen, hatte Isabelle sie über den vierten Advent eingeladen. Aber natürlich war das nicht das Gleiche.
„Mama, jetzt sei doch bitte nicht mehr sauer. Ich dachte einfach, es wäre besser, wenn wir nur mit den Kindern zusammen sind und uns alle erst mal richtig kennenlernen.“
„Da bin ich jahrelang gut genug, um deine Lebenskrisen aufzufangen sowie deine beiden Kinder großzuziehen und jetzt auf einmal willst du mich nicht an Weihnachten haben. Das tut ganz schön weh, meine Liebe.“
„Mama, bitte. Warum tust du das immer wieder? Ständig musst du mich daran erinnern, was ich in meinem Leben alles falsch gemacht habe. Warum kannst du dich nicht einfach für mich freuen? Ich habe einen Mann getroffen, der mich liebt und der ein Vater für Sophia sein möchte.“
„Und auf einmal interessierst du dich nicht mehr für mich.“
„Nein , Mama, so ist es nicht und das weißt du auch.“
„Weiß ich das? Isabelle, du hast Alexander wann kennengelernt? Ende August war das, wenn ich mich nicht täusche. Und auf einmal zählt nur noch er. Jedes Wochenende bist du irgendwo hingeflogen, um ihn zu sehen. Dann habt ihr im November geheiratet, seid kurz mal auf die Malediven gejettet ... und dann mit einem kurzen Zwischenstopp in Hamburg, ging es gleich hierhin weiter. Und nach deinem ersten Besuch in diesem Ferienhaus hast du gleich beschlossen, zu bleiben. Ohne mich irgendwie vorzuwarnen, hast du Sophia abgeholt, sie aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und mit in dieses Haus geschleppt. Das war vor sechs Wochen, mein Kind. Kannst du dir vorstellen, wie überrumpelt ich mich gefühlt habe?“
„Mama, jetzt ist es aber gut. Eben hast du noch gejammert, dass du meine Kinder großziehen musstest.“
„Ja, aber die kleine Sophia ist mir schon sehr ans Herz gewachsen. Sie fehlt mir. Ich habe mein ganzes Leben auf dieses Kind ausgerichtet.“
„Mama, ich weiß. In den letzten Monaten habe ich nicht besonders auf dich und Sophia Rücksicht genommen. Das tut mir leid. Ich habe mich zu wenig um mein Kind gekümmert und auch dich nie wirklich gefragt, ob es dir recht ist, an den Wochenenden ständig auf sie aufzupassen. Es war nur alles so neu und irgendwie müssen Alexander und ich doch ein gemeinsames Leben aufbauen. Sophia fühlt sich hier wohl. Ab Januar wird sie den Kindergarten zwei Dörfer weiter besuchen.“
„Du willst also tatsächlich länger hierbleiben?“ Isabelles Mutter zog die Augenbrauen hoch. „Hier mitten auf dem Land? Du kennst hier doch keine Menschenseele und dein Mann ist ja auch nicht gerade häufig zuhause.“
„Ich fühle mich hier sehr wohl. Die Leute im Dorf sind sehr nett und ich lerne fleißig italienisch. Alexander hat die nächsten Monate beruflich in Mailand zu tun und kann bequem an den Wochenenden hier runter kommen. Und mit Sophia bin ich bis zu ihrer Einschulung im Sommer noch völlig flexibel. Ich kann in der nächsten Zeit hier sowieso nicht weg. Im Januar und Februar werden die Badezimmer renoviert. Und alles Weitere werden wir mit der Zeit sehen. Es gibt eine internationale Schule in Florenz. Wer weiß, vielleicht machen wir dieses Haus zu unserem Lebensmittelpunkt.“
„Tu was du für richtig hältst, hast du ja immer schon getan.“ Mit diesen Worten stellte ihre Mutter ihre Teetasse klirrend auf die Untertasse und verließ die Küche.
Oh je, jetzt ist sie vollständig beleidigt. Die Überlegung , hier fest zu wohnen, hätte ich wohl besser mal nicht mit ihr geteilt.
Resigniert machte sich Isabelle daran, die Zutaten für die
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