Totgeschwiegen (Bellosguardo)
Weihnachtsplätzchen zusammenzusuchen.
„Sophia, Schätzchen, magst du Mami beim Backen helfen?“, rief sie durch das Haus. Sofort hörte sie auch schon das Getrappel ihrer kleinen Tochter auf der Treppe.
Ich werde alles dafür tun, um das Weihnachtsfest so schön wie möglich hinzubekommen. Und vielleicht mach ich mir wegen Anna ja auch unnötige Sorgen. Un d Mama wird sich auch wieder beruhigen.
Und dennoch nagte ein schlechtes Gewissen an ihr. Es stimmte schon, ihre Mutter hatte in den letzten 17 Jahren alles für sie getan. Sie war ihr liebevolle Mutter, Ratgeberin und Freundin gewesen. Und auf einmal schloss Isabelle sie aus ihrem Leben aus. Wie würde sie sich an ihrer Stelle fühlen? Aber ihre Mutter hatte sich für sie immer gewünscht, dass sie eines Tages doch noch den richtigen Mann finden würde und nicht für immer allein bliebe. Eigentlich war ihre Mutter selbst eine große Romantikerin. Von ihrer eigenen Ehe sprach sie nur in den höchsten Tönen. Isabelles Vater war kurz nach Constantins Geburt gestorben. Danach hatte ihre Mutter keinen anderen Mann mehr in ihrem Leben haben wollen. Das hatte sie zumindest immer wieder betont und auf Fragen von Seiten Isabelles geantwortet:
„Es gibt für jeden von uns nur eine große Liebe und ich hatte das Glück , diese erleben zu dürfen. Ich bin glücklich und zufrieden, dass ich dich und meine Enkelkinder in der Nähe habe.“
Was würde ihre Mutter jetzt allein in Hamburg ohne sie und Sophia anfangen? Ihre Mutter hatte einen Kreis von anderen Damen , mit denen sie zweimal jährlich Kulturreisen unternahm. Außerdem spielte sie leidenschaftlich Golf und war Mitglied in einem Bridgeclub. Ihre Freundinnen bestanden durch die Bank weg aus gutbetuchten, sportlichen und jung gebliebenen Damen, alle um die 60 Jahre alt, so wie ihre Mutter auch.
Aber dennoch. Die Urlaubsreisen im S ommer hatten sie immer zusammen unternommen. Ostern, Weihnachten, Geburtstage, sämtliche Feiertage hatten sie seit Jahren gemeinsam verbracht. Hatte sie es zugelassen, dass ihre Mutter das Leben zu sehr auf sie ausgerichtet hatte? Als sie damals mit dem kleinen Constantin in die Wohnung über der ihrer Mutter eingezogen war, hatte sie nie hinterfragt, ob ihre Mutter vielleicht andere Pläne für ihr Leben gehabt hatte. Wie selbstverständlich waren sie als Familie eng zusammengerückt. Und nun war Isabelle aus dieser engen Verbindung einfach ausgestiegen. Ohne große Vorwarnung und ziemlich spontan. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie in den letzten Monaten nur an sich gedacht hatte. Wie hatte sie nur ihre Mutter von dem Weihnachtsfest ausschließen können? Nein, das konnte sie ihr einfach nicht antun.
Sie nahm die Eier aus dem Kühlschrank und stellte sie auf Küchentheke. Wie ein Wirbelwind wehte gerade Sophia in die Küche.
„Sophia, lass uns doch Omi bitten, dass sie uns bei den Plätzchen hilft und dann können wir sie auch gleich fragen, ob sie bis nach Weihnachten hierbleiben möchte.“
11
„Ihr Flug nach Florenz ist jetzt zum Einsteigen bereit.“
Anna griff nach ihrem Handgepäck und reihte sich , mit ihrem Handy in der Hand, in die Schlange der anderen Passagiere ein. Jetzt würde sie gleich den Harvard-Nerd kennenlernen. So hatte ihn auf jeden Fall Domenik in den letzten Tagen immer wieder bezeichnet. Anna war es zwar anfangs auch nicht ganz recht gewesen, dass ihr Vater so ein zwanghaftes Kennenlernen geplant hatte, aber daraus gleich ein großes Thema zu machen, wäre ihr jetzt nicht in den Sinn gekommen. Domenik hingegen, hatte sich Constantin in den schillerndsten Farben eines blassen, strebsamen Nerds ausgemalt, der in seiner Phantasie von Tag zu Tag, mehr zu einem Vollidioten mutiert war. Anna war das irgendwann furchtbar auf die Nerven gegangen.
„Bist du etwa eifersüchtig?“, hatte sie ihn halb im Scherz und halb im Ernst gefragt.
Er hatte ihr daraufhin nicht geantwortet und sie nur sehr ernst angesehen.
Seit ihrem unschönen Streit und dem, wie er fand, klärendem Gespräch vor dem Speisesaal, hatten sie wieder jede freie Minute miteinander verbracht. Jede Nacht hatte sich Anna zu ihm ins Zimmer geschlichen und ihr Vergehen – wie Domenik es nannte - mit Zärtlichkeit wieder gut gemacht. Zuerst hatte sie gedacht, dass er als Entschuldigung irgendwelche extravaganten Sexdienste einfordern würde, aber dem war nicht so gewesen. Die Sache mit dem Sex musste ohnehin lautlos von statten gehen. Die Betten waren alt und quietschten schnell, so
Weitere Kostenlose Bücher