Totgeschwiegen (Bellosguardo)
herunter. Zornig wischte sie sich mit der Hand durchs Gesicht. Sie wollte nur noch in ihr Bett und die D ecke über den Kopf ziehen. Den Wecker würde sie sich auf drei Uhr nachts stellen, dann dürfte es halbwegs sicher sein, das Haus zu verlassen.
Sie war schon fast bei ihrem Haus angekommen, als sie hinter sich Schritte hörte.
Hoffentlich spricht mich keiner an und fragt, warum ich nicht auf der Party bin.
Anna beschleunigte ihren Gang. Die Schritte kamen dennoch näher.
„Anna, warte.“
Oh nein, das war Max. Anna wischte nochmal mit der Hand durch ihr Gesicht. Max sollte nicht sehen, dass sie weinte.
Sie spürte seine Hand auf ihrem Arm. Ungeduldig blieb sie stehen und sah zu Boden.
„Anna, ist alles OK mit dir? Warum bist du denn nicht auf der Party?“
„Ich habe keine Lust auf Party.“
„ Die Stimmung ist total gut. Du verpasst wirklich etwas.“ Max stand jetzt direkt neben ihr und sah sie eindringlich an. Sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen und starrte weiter auf den dunklen Weg.
„Ich will nur in mein Bett. Ich fühle mich nicht so gut.“
„Was hast du denn? Bist du krank? Anna, alle machen sich Sorgen um dich. Du kannst dich doch nicht so abkapseln. Das ist nicht gut für dich. Du liebst doch Partys.“
„Ja schon, aber ...“
Was sollte sie Max bloß sagen? Dass Domenik ausflippen würde, wenn sie auf die Party ginge? Er hatte es ihr zwar nicht verboten, aber er war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie den Abend mit ihm verbringen würde. Und genau jetzt ging er davon aus, dass sie in ihr Haus zurückkehrte, um ein paar Stunden zu schlafen. Und das war es ja auch, was sie wollte. Sie war so müde von dem ständigen nächtlichen Aussteigen. In den paar Stunden mit Domenik in seinem Bett döste sie zwar auch immer mal wieder ein, aber natürlich war das nicht vergleichbar mit einem tiefen Schlaf. Immerzu musste sie auf die Uhrzeit achten. Zu groß war die Gefahr, den richtigen Zeitpunkt zu verpassen, um sich wieder in ihr Haus zurückschleichen zu können.
„Ich bin müde , Max.“
„Ach Quatsch, A nna. Morgen ist Samstag und wir haben keinen Unterricht. Du kannst ausschlafen. Komm, wir trinken ein Bier zusammen und dann kannst du ja immer noch in dein Bett gehen.“
Anna sah in seine lieben und freundlichen Augen. Dackelblick hatte sie das abfällig genannt. Und genau jetzt hatte dieser Dackelblick etwas Tröstendes. Wenn sie mit ihm auf die Party ging, würde sie sich morgen die lästigen Fragen und Kommentare der anderen Mädchen ersparen. Keiner könnte sie damit aufziehen, dass sie nur noch mit ihrem Freund abhing und ihm total hörig war.
„Na gut, auf ein Bier“, sagte sie zögerlich.
29
Keine Nachricht von Alexander. Er müsste längst im Haus sein. Normalerweise kam er am Freitag gegen acht Uhr abends aus Mailand zurück. Es war bereits nach zehn Uhr.
Isabelle trank einen weiteren Schluck von i hrem Tee. Sie hätte gut etwas Alkoholisches vertragen können, aber sie rechnete immer noch mit Alexanders Anruf und dafür brauchte sie einen klaren Kopf.
Ob er wütend war, dass sie Katharinas Gedanken gelesen hatte? Dass sie in Sachen geschnüffelt hatte, die sie nichts angingen? Aber wenn er ein weiteres Kind hatte, ging sie das sehr wohl etwas an.
Isabelle ging nervös in ihrer Hamburger Altbauwohnung auf und ab. Ihre Schritte hallten über das Parkett. Sie war allein. Sophia hatte darauf bestanden, bei ihrer Omi zu übernachten. Das Wohnzimmer kam Isabelle, nach den Monaten in Italien, richtiggehend fremd vor. Sie hatte sich an das Haus in Italien und an ihr neues Leben mit Alexander gewöhnt.
Was sollt e sie tun? War es falsch und zu theatralisch gewesen, Hals über Kopf nach Hamburg zu fliegen? Wäre es nicht wesentlich erwachsener gewesen, Alexander ganz ruhig mit ihren gewonnen Erkenntnissen zu konfrontieren? Sie hätte sich auch einfach für ein paar Stunden zurückziehen können und ihn in Ruhe Katharinas Datei lesen lassen. Dann hätten sie darüber sprechen können.
Aber bei ihr war eine Sicherung durchgebrannt. Sie hatte sich auf einmal in Katharinas Lage versetzt gefühlt. Sie hatte den Schmerz, den diese Frau beschrieben hatte , am eigenen Leib gespürt. Die Vorstellung, dass Alexander sie betrügen könnte, versetzte sie in Panik. Was, wenn er mit dieser Frau immer noch ein Verhältnis hatte?
Ab er warum hatte er dann nicht sie geheiratet? Das machte keinen Sinn. Nein, Isabelle konnte sich nicht vorstellen, dass da immer
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