Totsein ist Talentsache (German Edition)
sich
so schwungvoll nach, dass Wein auf ihr Kleid schwappt. Gleichgültig wischt sie
über die Flecken, prostet sich selbst zu und trinkt das Glas in einem Zug leer.
Was, wenn Bernd es doch wert ist? Angesichts ihres heftig pochenden
Herzens beschließt Anna, sich trotz der zu erwartenden Demütigung zu
entschuldigen. Zu berauschend sind die Wärme seiner Hand und die Sanftheit
seiner Stimme gewesen. Als Anna aufstehen will, stellt sie fest, dass nicht nur
Bernd sie trunken gemacht hat. Stöhnend sinkt sie ins Sofa zurück und drückt
sich die Serviette ins Gesicht, um die flirrenden Lichtpunkte vor ihren Augen
besser ignorieren zu können.
„Ich glaube, du hast etwas verloren.“ Da ist es wieder, dieses
Kribbeln. Langsam lässt Anna das Tuch sinken und blickt auf. Es dauert eine
Weile, aber dann beschließen die zehn Typen vor ihr, doch nur zu zweit zu sein
und wie Bernd und Jo auszusehen. Wenn überhaupt möglich, ist Bernd noch
hübscher als vorhin im Ballsaal. Was sicher auch daran liegt, dass man neben Jo
immer besser aussieht. Vor allem, da der offenbar kürzlich von einem Bus
überrollt worden ist. Erschrocken rappelt sich Anna auf: „Was ist passiert?“ Jo
gibt anstatt einer Antwort nur einen klagenden Laut von sich und lässt sich
neben Anna aufs Sofa fallen.
„Ihr seid ein hübsches Paar“, grinst Bernd, „Man sollte euch malen: Desaster
in Schwarz und Rot .“ Annas verschmiertes Make-up und ihr verknittertes
Seidenkleid harmonieren tatsächlich auf bizarre Weise mit Jos blutender Nase
und den beklagenswerten Restbeständen seines Smokings. „Ich bring euch mal an
die frische Luft. Dann sieht die Welt gleich anders aus.“ Mit Anna unter dem
einen und Jo unterm anderen Arm betritt Bernd die Terrasse und platziert die
beiden Jammergestalten auf einem breiten Mauervorsprung. Dann bittet er einen
Kellner um eine Flasche Wasser, einige feuchte Tücher und einen Anruf bei der
Rettung.
Nachdem er Annas Gesicht so gut wie möglich restauriert und Jos Nase
untersucht hat, erzählt Bernd, was vorgefallen ist. Viel hat er ja nicht
mitbekommen. Als ihn Anna ohne ersichtlichen Grund stehen lassen hat, ist er
ihr gefolgt, um eine Erklärung, eine Entschuldigung oder zumindest Satisfaktion
einzufordern. Sein Chercher la Femme hat ihn in einen Trakt geführt, der
offensichtlich nicht für Festgäste gedacht ist. Besonders nicht für jene, die
mit gezückter Digitalkamera hinter Klara Zehner hersprinten und dabei „Sie
gehört nur mir!“ schreien.
„Die Reaktion dieser Sicherheitsleute ist beeindruckend. Innerhalb
von Sekunden ist dein kleiner Freund hier am Boden gelegen. Zwei haben ihn
niedergehalten, der Dritte hat zugeschlagen. Halt mal kurz die Luft an, Junge.“
Der Schmerz, der Jo durchzuckt, als Bernd ihm mit einer raschen Handbewegung
die Nase einrenkt, raubt ihm mehr als nur den Atem. Während Bernd ihn sanft aus
der Besinnungslosigkeit ohrfeigt, erzählt er weiter: „Ich hab denen erzählt,
dass er sich für Kaiserin Sisi hält. Und dass ich als sein behandelnder Arzt
wohl die Dosis neu berechnen sollte. Da haben sie ihn gehen lassen. Zu seinem
Glück haben´s die nicht so mit der Logik.“
Anna hat den Bericht mit offenem Mund
verfolgt. Nicht nur vor Staunen, sondern auch in der Hoffnung, dass die
Frühlingsbrise ihre Sinne wieder auf den richtigen Platz weht. Bisher mit wenig
Erfolg. Dankbar lächelt sie Bernd an, lehnt sich an die kühle Mauer und
beobachtet, wie ihr Freund langsam wieder zu sich kommt. „Sag mal, spinnst du?“
Zornig greift sich Jo an die Nase und stellt überrascht fest, dass sie nicht
mehr in einem unnatürlichen Winkel aus seinem Gesicht ragt. Mürrisch bedankt er
sich bei Bernd. Dann fischt er seine Kamera aus dem Hosenbund: „Die hab ich
retten können. Eines schwör ich dir: Irgendwas stimmt mit der Zehner ganz und
gar nicht.“ Mehr kann er leider nicht sagen, da in diesem Moment zwei Sanitäter
im Laufschritt auf ihn zukommen und ihn trotz heftiger Widerworte auf eine
Trage schnallen. Nachdem Bernd leise ein paar Worte mit einem der Pfleger
gewechselt hat, lässt er sich mit einem Seufzen auf dem Sims neben Anna nieder.
„Anna, ich weiß nicht, was da vorhin mit dir los gewesen ist. Ich
hab dich erst gar nicht erkannt. Du hast dich verändert. Irgendwie. Aber du
bist noch genauso … und trotzdem viel ... viel … Egal. Ich hab einfach nur ein
bisschen plaudern wollen. Über die Ausflüge an die Donau und übers Ringelspiel
im Prater. Kannst du dich denn
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