Totsein ist Talentsache (German Edition)

verändern werden. Und du musst absolutes Stillschweigen bewahren. Das
Projekt ist streng geheim! Das Team darf nicht gefährdet und der Joker muss
geschützt werden. Du bist meine …“
    „Welches
Projekt? Welches Team? Und wer ist der Joker? Freundchen, kannst du vielleicht
so sprechen, dass ich dir folgen kann, ohne einen akuten Hirnschlag zu
riskieren?“, unterbricht ihn Anna. Jo atmet tief durch und antwortet: „Du weißt
ja, dass ich hin und wieder mit ein paar Leuten in Kontakt bin. Mit denen ich …
naja … Hypothesen aufstelle und so. Diese Theorien sind immer ernster und
konkreter geworden. Vor einiger Zeit hat mich dann einer von ihnen in den Inneren
Kreis eingeführt. Da, wo´s ums Eingemachte geht. Eben um das, was ich dir
zeigen will. Viel ist das eh nicht, weil die Sache für einen Laien zu komplex
ist. Grob gesagt beschäftigen wir uns damit, dass Österreich zu schön ist, um
wahr zu sein. Und der Joker? Er ist unser Meister. Der Eine, der Viele ist. Der
die gesammelten Thesen und Fakten filtert, analysiert, verwertet.“ – „Du
spinnst. Das weißt du aber eh, oder?“ - „Kann sein. Hab noch nicht drüber
nachgedacht. Aber hast du eigentlich noch nie drüber nachgedacht, wieso
es ein weltweites und ein österreichisches Netz gibt? Und wieso man von der
Welt da draußen fast nur grausliche Sachen mitbekommt und hier in Österreich
alles wie ein Ausflug ins Schlaraffenland wirkt? Überleg mal. Egal, ob im Netz
oder im Fernsehen oder in den Zeitungen … Man könnt fast glauben, dass
Österreich eine Insel der Seligen inmitten der Hölle auf Erden ist. Wart, ich
zeig´s dir.“
    Anna ist ziemlich verwirrt. Und einigermaßen
beunruhigt. Zwei Stunden lang haben Jo und sie das Internet durchforstet,
Theorien aufgestellt und wieder verworfen und sind im Endeffekt zu einem
Ergebnis gekommen, das vor allem Anna so gar nicht akzeptieren will: Entweder
ist das Ganze ein schlechter Traum oder die Menschen in Österreich sind seit
Jahrzehnten gewaltig verarscht worden. Allerdings versteht sie Jo jetzt ein
bisschen besser. Und schwört sich, ihn nie wieder wegen seiner verrückten
Hypothesen aufzuziehen. Da Jo noch immer untrennbar mit den Bildschirmen
verschmolzen ist, versucht Anna mit freundlicher Unterstützung einer Tasse
Kaffee, ihre Gedanken alleine zu ordnen. Das Wohnzimmer scheint ihr dafür ein
geeigneterer Ort als Jos Kammer des Schreckens. Langsam beruhigen sich Annas
Nerven und sie kann wieder halbwegs klare Überlegungen anstellen. Sie ist sich
nur nicht sicher, ob sie das überhaupt will.
    Ihr ganzes Leben hat Anna bedingungslos daran
geglaubt, dass sie in einem Land lebt, das seinen Bewohnern großen Wohlstand
und soziale Sicherheit bieten kann, obwohl in der ganzen übrigen Welt Armut,
Krieg und andere Missstände herrschen. Sie ist mit dem unverrückbaren Dogma
aufgewachsen, dass Österreich der einzig lebenswerte Staat weltweit ist. Dass,
wer dieses Land verlässt, unweigerlich in tiefstes Elend stürzt. Und „verarmen,
verhungern, erfrieren, geistig abstumpfen, vergewaltigt und anschließend
getötet werden“ von seiner Zu erledigen -Liste streichen kann. Sie hat
einfach gewusst, dass Österreich der einzige gesunde Apfel an einem Baum voller
fauliger Früchte ist. Bis heute.
    Was sollte Anna auch anderes denken? In keinem ihrer
Bücher hat sie jemals einen Hinweis darauf entdeckt, dass Österreich etwas
anderes ist als eine schöne neue Welt. Außerdem liefert jede
Nachrichtensendung, jedes Bild, jede Bemerkung aus gleich welchem Medium Tag
für Tag den Beweis, dass die übrige Menschheit verroht ist und Österreich eine
Enklave der Perfektion. Ihr Heimatland ist enorm reich, weil es eine
unabhängige Wirtschaftsmacht ist. Der soziale Frieden ist gesichert, weil
starke Männer und Frauen das Land regieren. Kunst und Kultur stehen seit
Jahrzehnten in ihrer Hochblüte, weil alles Schöne und Gute gefördert wird.
     
    Ganz anders geht es in der übrigen Welt zu. Die EU
und andere Staatenbündnisse treiben ihre Mitglieder in den Ruin. In vielen
Ländern herrschen Unruhen und Not, weil deren Politiker zwar „Ja, wir können!“
sagen, es dann aber doch nicht tun. Kreativität und Integrität werden der
Gewinnsucht und Selbstdarstellung geopfert und auf beschämende Weise
pervertiert.
    Berichten die österreichischen Medien aus dem
Ausland, hört und liest man stets nur von Hass, Armut und anderen
Scheußlichkeiten. Schaltet man einen internationalen Fernsehsender ein, sieht
man Filme,