Totsein ist Talentsache (German Edition)
für die selbst die Bezeichnung „grottenschlecht“ noch ein Lob
darstellt. Und das www scheint überhaupt nur aus Kriegsberichten, Pornos und
dilettantisch produzierter Werbung für Selbstmordattentäter zu bestehen.
Angesichts dieser Tatsachen muss man sich letztendlich die Frage stellen, wie
der Rest der Menschheit überhaupt so lange hat überleben können.
Und dann knackt
Jo zusammen mit seinen verrückten Freunden ein paar Internetseiten und entdeckt
eine völlig andere Welt. Eine, in der nicht ausnahmslos jeder Mensch arm,
bösartig oder geistig abnorm ist. Sie ist nicht perfekt, diese Welt. Aber bei
Weitem nicht so schlecht, wie sie dem österreichischen Volk Tag für Tag
präsentiert wird. Trotz aller Abscheu, die in Anna angesichts dieser Gedanken
hegt, ist sie dennoch gespannt, wie sich das Ganze weiterentwickelt. Denn diese
Geschichte schmeckt nach einem jener Abenteuer, die sie sonst nur aus ihren
Büchern kennt.
„Wie ist das möglich, Jo? Wie kann es sein, dass wir
all diese Bilder nie gesehen haben? Wie kann es sein, dass eine ganze Nation
seit Jahrzehnten glaubt, dass die Welt da draußen unglaublich schlecht ist und
Österreich Hort und Quell allen Glücks? Wer tut so was? Und warum?“ Jo fährt
hoch: „Süße, du kannst dich doch nicht einfach so anschleichen! Ich krieg noch
einen Herzkasperl!“
Eine
Entschuldigung murmelnd setzt sich Anna an den Schreibtisch. Jo sinkt auf
seinen Sessel zurück, sieht sie ernst an und sagt: „Ich weiß nicht, wer das
tut. Oder weshalb. Aber ich kann dir sagen, wie. Das hab ich nämlich schon
mitbekommen, obwohl die Kommunikation im Inneren Kreis ein bisschen
verwirrend ist. Die ganze Angelegenheit ist ja … wie soll ich sagen… ein bissl
nicht ganz legal. Wir wildern sozusagen in fremden Gehegen. Damit wir nicht
entdeckt werden, sind alle Botschaften verschlüsselt oder irgendwie kodiert.
Und du weißt ja, ich hab´s nicht so mit Fremdsprachen.“ – „Dafür, dass eine
äußerst geheime Gruppierung alles Menschenmögliche tut, um nicht entdeckt zu
werden, bist du aber ziemlich mitteilungsbedürftig. Es geht mich ja nix an,
aber für mich wäre deine Aufnahme in diesen Inneren Kreis eine handfeste
Fehlentscheidung.“ Jo winkt ab: „Du bist meine beste Freundin. Und du hast
einen unverbrauchten Blick fürs Wesentliche. Ich brauch dich zum Denken“. Na,
wenn das mal kein Grund ist, aus dem Nähkästchen zu plaudern.
„Ich erklärs dir mal. Ja - eh ganz langsam.
Irgendjemand hat, warum auch immer, fast das ganze Internet sperren lassen.
Also, das globale Netz. Zumindest für uns Österreicher. Alles, was du heute
gesehen hast – die schönen, interessanten Seiten, die guten Nachrichten, die
Kultursachen und so – auf das alles haben nur die Leute im Ausland Zugriff. Na
gut, und wir vom Inneren Kreis “, fügt Jo hinzu. „Für die Blondinen unter
uns: Jemand zensuriert alle internationalen Publikationen und Berichte, die
nicht Katastrophenmeldungen oder Pornos sind. Stell es dir wie ein Sieb vor, in
dem Früchte zum Waschen liegen – wir sind der Topf, in den das dreckige Wasser
rinnt. Ich trau mich wetten, mit dem Fernsehen und den Zeitungen machen sie
dasselbe. Da kriegen wir ja auch nur das Seichteste vom Seichten und den ganzen
Müll ins Land. Und bei uns ist es genau umgekehrt. Da gibt´s nur die guten, die
einwandfreien Sachen. Alles, was Österreich betrifft, wird von unseren Medien
erst mit Chlor gespült und dann zur Sicherheit noch mit Weichspüler behandelt.“
Ein wenig außer Atem, aber sichtlich stolz auf seine
Erkenntnisse fährt Jo fort, wie besessen die Tastatur zu bearbeiten. Wer auch
immer hinter der ganzen Angelegenheit steckt, muss echt was drauf haben, wenn
sogar ein Jo Mulder, Computergenie h.c., und seine durchgeknallten Freunde ihr
gesamtes Können und noch mehr aufbieten müssen.
„Jo, wer ist dafür verantwortlich? Wer ist
so mächtig, dass er sowohl die nationalen als auch die internationalen Medien
so fest im Griff hat? Klara Zehner?“ Jo wendet den Blick nicht von seinem
Bildschirm ab, als er antwortet: „Mädl, die Zehner ist gut. Aber sie ist nicht
allmächtig.“
2. Juli 2012. Inklusive kurz nach
Mitternacht
„Erklärt´s mir´s bitte noch mal.“ Katja öffnet die Haarklammer und fährt
mit gespreizten Fingern durch ihr langes schwarzes Haar. Dann bindet sie es in
ihrem Nacken zu einem Knoten, löst ihn nur Augenblicke später und beginnt,
einen Zopf zu flechten. Das tut sie immer, wenn sie aufgeregt
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