Totsein ist Talentsache (German Edition)
mit
einem Blick auf Sophie, die verloren im blassen Schein der Vorzimmerlampe
steht, die Tür der Abstellkammer. Von innen.
Johann zieht das Etui aus seiner Brusttasche,
entnimmt ihm eine weitere Spritze und jagt sie Friedrich in den Nacken. Während
er wartet, dass der Mann aus seiner Apathie erwacht, vergewissert er sich, dass
die Glock griffbereit im Holster steckt. Er hasst es, diese Waffe tragen zu
müssen. Weil er ihretwegen keine taillierten Sakkos tragen kann. Und weil er
ein friedfertiger Mensch ist. Grundsätzlich.
Endlich regt sich Gross. Augenblicklich will er auf
seinen Assistenten losstürmen. Die dicken Ketten erlauben ihm zum Glück nur
einen äußerst bescheidenen Bewegungsspielraum. Mit einem erleichterten Seufzen
nimmt Johann die Hand von der Waffe, holt das Sackerl aus der Ecke und greift
mit einem angewiderten Gesichtsausdruck hinein: „Ihr Betthupferl, Herr
Direktor. Und bitte nicht wieder so viel patzen. Das Waschen mögen wir beide
nicht so, gell?“
Nach und nach wirft er Friedrich große
Fleischstücke zu. Eines blutiger als das andere.
6. Juli 2012.
Gleiche Zeit. Anderer Ort.
„Burschi, komm! Das kannst du doch nicht ernst
meinen. Ich hab echt geglaubt, dass mehr in dir steckt. Da hab ich mich wohl
getäuscht … Zugegeben: Die Nacht der lebenden Toten ist ein Klassiker. Plan
9 from Outer Space sowieso. Conny und Peter machen Musik … gut, auch
irgendwie gruselig. Aber Sissy, die junge Kaiserin …?“Jo stürzt sich auf
die DVD, die Katja verächtlich auf das Sofa geworfen hat. Zärtlich streichelt
er die Hülle und stellt sie ins Regal zurück. Mit dem Zeigefinger fährt er an
seiner Filmsammlung entlang und singt vor sich hin. Kaum hörbar. Und ziemlich
falsch. Aber mit jener Hingabe, die Hotels am Wolfgangsee nun mal verdienen,
weil doch dort das Glück vor der Tür steht.
Katja beobachtet
die Szene mit hochgezogenen Augenbrauen. Mit einer, genauer gesagt. Die dafür
aber sehr hoch gezogen. Als die dazu notwendigen Muskeln zu krampfen beginnen,
rüttelt sie Jo ziemlich unsanft aus seinen himmelblauen Träumen: „Schluss mit
Faulenzen, Rösslwirtin! Wir müssen weitermachen. Bernd und Anna warten sicher
auf Antworten.“ Ohne eine Reaktion abzuwarten, verlässt sie das Wohnzimmer.
Katja und Jo haben die letzten Tage miteinander
verbracht. Zu Jos Bedauern nur die Tage. Und die ausschließlich zum
Recherchieren. Fast. In den Schaffenspausen ist Katja jedes Mal aufgesprungen,
in der Küche verschwunden und mit dem Eintopf des Tages oder einer kalten, aber
liebevoll arangierten Platte wieder aufgetaucht. Nicht, dass Jo irgendwelche
brauchbaren Lebensmittel zuhause gehabt hätte. Die haben schon vor geraumer
Zeit seine Wohnung verlassen, um einen unabhängigen Komposthaufen zu gründen.
In weiser Voraussicht ist Katja vor drei Tagen mit
einer gefüllten Kühltasche vom Ausmaß eines Kleinlasters aufgetaucht und sorgt
seither drei Mal täglich für das leibliche Wohl. Jos Seelenheil scheint ihr
hingegen egal. Sie verlässt seine Wohnung konsequent und pünktlich um 22:00
Uhr.
„Ich fahr jetzt heim. Kuscheldecke und Seidenhemdchen
warten auf mich.“ Mit diesen Worten hat sie Jo am ersten Abend zurückgelassen.
Er hat seither wenig geschlafen. Aber viel geträumt.
Wenn Katja und Jo nicht gerade Grundsatzdiskussionen
über angemessenes Filmmaterial führen oder essen, hängen sie vor den Computern.
Unbeteiligte Beobachter könnten vermuten, die beiden haben eine besonders
schwere Form von Nervenleiden: Die Finger zappeln wie Spinnen auf einer heißen
Herdplatte über die Tastaturen, die Köpfe zucken ruhelos von einem Bildschirm
zum anderen und die Füße scharren ungeduldig auf dem abgewetzten Laminatboden.
Der erste Tag ihrer Nachforschungen hat einen
Rückschlag gebracht. Die beiden haben zwar jede Menge Vermisstenanzeigen
gefunden, aber keine entsprechenden Polizeiakten oder Belege für
Nachforschungen. Nur vereinzelte Hinweise darauf, dass die angezeigten Fälle
jedes Mal von der AFFE übernommen werden und unter Verschluss stehen. Damit hat
sich Katja natürlich nicht zufriedengeben wollen. Aber das System der
Sondereinheit kann nicht einmal Jo knacken. Um von dieser Unzulänglichkeit
abzulenken, hat er Katja in die unendlichen Weiten seiner virtuellen Welt
eingeführt. Sie hat nicht gleich mit grenzenloser Bewunderung reagiert. Aber
mit regem Interesse. Gefolgt von offener Begeisterung. Gekrönt von fieberhaftem
Forscherdrang. Seither schenken die beiden einander
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