Totsein ist Talentsache (German Edition)
grummelt
tonlos vor sich hin.
Mit einem besorgten Blick auf Sophie läuft Johann aus
dem Salon und kehrt gleich darauf mit einem kleinen Etui zurück: „Es tut mir
leid, Sophie. Ich hab die Sachen in der Küche liegen gelassen. Solche Ausbrüche
hat er in letzter Zeit immer häufiger. Zum Glück ist er morgen wieder beim
Service und wird neu eingestellt. Die haben da etwas vollkommen Neues
entwickelt, das solche Ausbrüche auf ein Minimum reduzieren soll.“ Rasch öffnet
Schmid das Futteral und nimmt ein Gerät heraus, das wie ein zu klein geratener
Fernseher aussieht. Mit flinken Fingern fährt er über den Bildschirm und hält
den Apparat dann in Friedrichs Nacken. Der hört augenblicklich zu murmeln auf
und legt seine Hände in den Schoß. Nur seine Augen wandern unruhig durch den
Raum. Als würden sie ein umherschwirrendes Insekt verfolgen.
Immer noch blass
zieht Sophie eine Spritze aus dem Etui. Mit zusammengepressten Lippen jagt sie
ihrem Mann die Nadel in den Hals und drückt eine gelbliche Flüssigkeit durch
die Kanüle. Friedrich fällt endgültig in Katatonie. Sophie gibt ihm einen Kuss
auf die Stirn und nickt Johann zu. Der verstaut das Futteral in der Brusttasche
seines Sakkos, packt Dr. Gross am Kragen und zieht ihn hoch: „Gitterbettsperre,
mein Freund. Es ist schon spät und wir müssen früh raus. Morgen ist ein großer
Tag. Außerdem kommt dein Kind zu Mittag heim. Bis dahin müssen wir weg sein.“
Dann tritt er hinter Friedrich, der ihn um mindestens einen Kopf überragt und
dirigiert ihn mit sanften Stößen über die breite Treppe hinunter ins Vorzimmer.
Wortlos und ohne Gegenwehr lässt sich Friedrich führen. Mit nach vorne
ausgestreckten Armen tappt er durch die Wohnung. Es sieht aus, also würde er Blinde
Kuh spielen. Nur ohne Augenbinde. Und ohne Kameraden.
Sophie hat den Salon bereits verlassen und erwartet
die beiden Männer vor dem Abstellraum. Sie trägt einen dicken Mantel und hält
einen Schlüssel in der einen sowie einen großen Plastikbeutel in der anderen
Hand. Hastig, um ihren Gefühlen keine weitere Chance zum Ausbruch zu geben,
geht sie in das Kämmerchen. Dort tritt sie vor einen massiven Holzschrank und
öffnet ihn. Nachdem sie einige alte Kleidungsstücke zur Seite geschoben hat,
steckt sie den Schlüssel in ein Schloss, das sich an der Decke des Kastens befindet.
Mit einem leisen Klicken öffnet sich die Rückwand und schwingt in einen
dahinter verborgenen Raum. Eisige Kälte und ein unangenehmer Geruch fliehen aus
der Dunkelheit, die hier herrscht. Sophie tastet an der Wand herum, bis sie
schließlich den Lichtschalter findet. Mit gesenktem Kopf geht sie zu Friedrich,
nimmt ihn an der Hand und führt ihn in die Kammer: „Gitterbettsperre, mein
Herz. Die Sonne ist schon untergegangen und du musst früh raus. Morgen ist ein
aufregender Tag. Und Anna kommt heim. Sie soll nicht sehen, wo du bisweilen
deine Nächte verbringst.“ Zärtlich streichelt sie ihrem Mann übers Gesicht und
flüstert: „Schön, dass du da gewesen bist.“
Die nackten
Glühbirnen an den Wänden leuchten den kleinen Raum gnadenlos aus. Sophie
erträgt den Anblick selbst nach all den Jahren nur schwer. Schweigend stellt
sie den Plastikbeutel auf den Boden und geht in die Diele zurück. Ab hier muss
Johann die Arbeit machen. Er ist es gewohnt. Er macht es täglich. Es zählt
nicht gerade zu den angenehmen Seiten seines Berufs. Aber es gehört nun mal
dazu. Egal ob in der Bank oder hier. Gerätschaft und Einrichtung unterscheiden
sich zum Teil, aber der Ablauf ist immer der gleiche: unterbringen – sichern –
versorgen.
„Sophie darf nicht mehr so viel weinen, wenn du da
bist. Das schadet deiner Visage“, stellt Schmid mit einem prüfenden Blick auf
Friedrichs linke Wange fest. Es ist eine altbekannte Tatsache, dass die Tränen
einer Frau das Herz eines Mannes zu schmelzen vermögen. Dass sie das auch mit
seinem Gesicht können, wissen die wenigsten. Johann befeuchtet seinen Daumen
mit etwas Spucke und versucht, die derangierte Haut festzudrücken und zu
glätten.
Dann steckt er den mächtigsten Mann des
österreichischen Finanzwesens in einen fleckigen alten Arbeitsmantel und setzt
ihn auf eine Holzpritsche. Mit routinierten Handbewegungen legt Johann eiserne
Fesseln um Friedrichs Hand- und Fußgelenke und fixiert sie mit Ketten an der
Wand. Sorgfältig kontrolliert er, ob die Klimaanlage an der Wand neben dem
Lichtschalter auf exakt zwei Grad Celsius eingestellt ist und schließt
Weitere Kostenlose Bücher