Totsein ist Talentsache (German Edition)

Austriacus“ genannt
haben, nur bei Tieren. (Ich sage „wir“, denn ich bin nun neben Georg R. der
zweite Adlatus des Laborleiters. Ich darf an den Experimenten mitarbeiten und
sogar ganz alleine solche durchführen! Mein Kumpel Georg ist mir da eine große
Hilfe. Er ist ein gutmütiger Kerl und hat eine Engelsgeduld. Die braucht er
auch – Du weißt, liebes Tagebuch, ich bin manchmal ein kleiner Tollpatsch.)
Jedenfalls hat die Gruppe heute Morgen einstimmig beschlossen, daß das Mittel
an einem Menschen ausprobiert werden soll. Sie haben einen der gefangenen
Verräter, die nebenan eingekerkert sind, ins Labor gebracht. Georg hat ihm die
Substanz injiziert. Und der Professor höchstpersönlich hat dann den Soldaten verletzt.
Zu unser aller Entsetzen und Enttäuschung ist der Mann nicht genesen. Im
Gegenteil. Fast 20 Minuten haben wir unser Möglichstes versucht, ihn wieder zu
beleben. Aber wir sind gescheitert. Und gerade, als die studierten Herren
aufeinander losgegangen sind und sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe
geschoben haben, ist die Nachricht vom Kriegsende gekommen. Und seither feiern
sie alle in friedlicher Einigkeit. Ich habe auch ein Gläschen mitgetrunken und
mich dann weggeschlichen, um ein wenig für mich zu sein. Wenn es wahr ist -
wenn der Krieg wirklich vorüber ist - dann kann ich bald zurück nach Hollabrunn.
Heim zu Mama, die sicher sehr stolz auf mich sein wird. Und heim zu meiner
süßen Christl. Ich hoffe, sie hat mich nicht vergessen. Gleich nach meiner
Rückkehr werde ich um ihre Hand anhalten und da---
    ER LEBT! DER  SOLDAT LEBT! ER IST VON
DEN TOTEN AUFGESTANDEN UND ER BRINGT ALLE UM! EINER FURIE GLEICH WÜTET ER DA DRAUSSEN
…
    ICH HABE GERÄUSCHE GEHÖRT UND DURCH DEN
TÜRSPALT GESCHAUT UND DA HAB ICH IHN GESEHEN: ER GEHT HERUM UND TÖTET SIE!
REISST UND BEISST AN IHNEN HERUM, BIS ALLES LEBEN AUS IHNEN GEWICHEN IST … ER
NAGT SIE AB! ES IST GRAUENHAFT … ICH GLAUBE, GEORG UND EIN PAAR ANDERE SIND
DURCH DEN KERKER ENTKOMMEN, ABER DIE MEISTEN LIEGEN ERMORDET IM LABOR. DER
PROFESSOR – TOT! DIE LABORANTEN – NIEDERGEMETZTELT!
    SEIT EINER EWIGKEIT SITZE ICH NUN SCHON HIER – EINGESCHLOSSEN UND IN
BANGER HOFFNUNG AUF RETTUNG. MEINE LIEBE MAMA, MEINE EINZIGE CHRISTL … WERDE
ICH SIE WIEDERSEHEN? UND WAS WERDEN SIE VON MIR DENKEN? WELCH DUNKLE MACHT IST
DURCH MEINE HÄNDE IN DIE WELT GEKOMMEN? ICH BETE ZU GOTT, DASS ER HILFE SCHICKT
UND DIESEN DÄMON STOPPT! UM DER MENSCHHEIT WILLEN, NICHT MEINETWEGEN. MICH WIRD
ER NICHT RETTEN. GOTT VERZEIHT DEN SÜNDERN, NICHT DEREN HENKERN. ICH HABE
GEFREVELT GEGEN ALLES, WAS DER HERR UNS GESCHENKT HAT. UNWICHTIG, DASS ES NICHT
MEINE ABSICHT WAR …
    ER KOMMT NÄHER!
    DAS IST ALSO MEIN ENDE. GETÖTET VON EINEM MONSTER, DAS ICH
MITERSCHAFFEN HABE. ICH WOLLTE, ICH
    ER TRITT GEGEN DIE TÜR!
    FAST HAT ER SIE DURCHSTOSSEN! ER WIRD
MICH TÖTEN WIE DIE ANDEREN! MEIN FLEISCH WIRD ERLÖSUNG ERFAHREN – MEINE SEELE NICHT
… BARMHERZIGER VATER IM HIMMEL, ICH ERBITTE DEINE GNADE! NICHT FÜR MICH, DOCH
ERBARME DICH DER ANDEREN! LASS NICHT ZU, DASS ER DIE WELT DA OBEN BETRITT UND
ÜBER SIE HERRSCHT! MAMA … CHRIS

7. Juli 2012.
Noch immer.
    Anna starrt auf die krakeligen Worte, die wie achtlos
zertretene Insekten auf den Seiten des Tagebuches liegen. Entweder ist das die
wirklich gut erfundene Geschichte eines Menschen, dem Isolation und Chemikalien
das Hirn verdreht haben, oder sie haben eine Welt betreten, in der sämtliche bekannten
Naturgesetze auf den Kopf gestellt worden sind. Wie auch immer, das Ganze ist
mittlerweile etwas zu viel Abenteuer für ihren Geschmack.
    „Schatz, jetzt nur mal rein hypothetisch. Ist es
irgendwie möglich, dass ein Toter wieder aufwacht? Dass sein Körper, obwohl
nachweislich und zu 100 Prozent ohne jedes Leben, sich bewegt und herumläuft,
als wäre nichts geschehen?“ - „Machst du Witze? Natürlich gibt´s das! Wandelnde
Leichen. Wesen, die auf ihre Instinkte reduziert sind. Sag bloß, du kennst das
nicht? So was nennt man Fiktion. Kommt vor allem in Filmen vor. Allerdings nur
in denen, die bei uns … na ja, als minderwertig gelten“, erklärt Bernd mit
einem breiten Grinsen. Etwas in Annas Blick irritiert ihn. Sie scheint an
seinem Verstand zu zweifeln. Ehe er das jedoch hinterfragen kann, hält Anna ihm
das speckige kleine Buch unter die Nase.
    „Da hat wohl jemand zu tief ins Reagenzglas geschaut“, meint Bernd,
nachdem er den Eintrag in Felix´ Tagebuch gelesen hat. „Oder zu viele
Gruselgeschichten