Totsein ist Talentsache (German Edition)
knapp 70 Jahren laut eigener Aussage ein grausiges
Ende gefunden hat. Nur, dass der Raum nun voller Wissenschafter ist und auf dem
Metalltisch eben eine Person angebunden wird. Sie ist am Leben, wirkt aber
apathisch. Als hätte man sie mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt. Anders lässt
sich nicht erklären, dass die Frau gleichgültig beobachtet, wie ihr
verschiedene Injektionen verabreicht werden, während Georg Romero eine lange Klinge
in die Hand nimmt und damit auf ihre entblößte Brust zielt.
Obwohl der Film
in schwarz-weiß und ohne Ton ist, sieht man erregte Röte in seine Wangen
steigen und hört das scharfe Einatmen aller Anwesenden, die sich ehrfürchtig um
den Tisch geschart haben. Das Publikum muss sich noch etwas gedulden, da Romero
offensichtlich einen längeren Vortrag über Sinn und Zweck seines Handelns hält,
während das Messer nur wenige Zentimeter über dem Herzen der Frau schwebt.
„Die Studenten haben das wohl mit Kommentar gehört.
Wahrscheinlich haben sie abwechselnd aus Romeros Handbuch Die Erziehung der
Frau Oder Was Sie schon immer über die Ehe wissen wollten vorlesen
müssen“, meint Anna. Bernd hört nicht hin. Er starrt wie gebannt auf die
Leinwand. Für den medizinisch gebildeten Filmfreund ist das wie Ostern und
Weihnachten zusammen: Ein historischer Lehrfilm, verpackt in ein fesselndes
Drama im späten Fritz Lang-Stil.
Romero hört sich scheinbar gerne selbst reden. Der
Zuschauer hat ja keine Möglichkeit dazu. Eine gefühlte Ewigkeit plaudert der
jugendliche Professor, ehe er mit einer pathetischen Bewegung die Klinge im
Licht der Deckenbeleuchtung aufblitzen lässt und zustößt. Bernd vergibt
heimlich je eine Romy an Drehbuch, Regie und Kamera.
„Ist es weg? Ist
sie jetzt echt tot? Sieht man die Leiche eh nimma? Kann ich wieder hinschauen?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, dreht Anna ihr Gesicht von Bernds Brust und
streicht sich das Haar aus den Augen. Es ist weg, die Frau ist tot. Die Leiche
sieht man noch. Offenbar hat Georg Romero seine Sache gut gemacht, denn das
Labor klatscht gesammelt Beifall. Bernd auch. Aber nur in Gedanken.
Anna fragt sich gerade, was denn nun so lehrreich und
medizinisch wertvoll an der Ermordung eines Menschen ist, als Bewegung in die
Szene kommt. Romero zwickt das Opfer mehrmals in den Oberarm, um zu
demonstrieren, dass jegliches Leben aus ihm gewichen ist. Als endgültigen und
auch für Laien verständlichen Hinweis bricht er mit einer Art Stemmeisen ihren
Brustkorb auf und entnimmt mit routinierten Handgriffen ihr Herz. Schließlich
binden zwei Assistenten die Tote los, während die übrigen Laboranten auf den
zweiten Akt warten.
Ein kräftiger Kerl im Overall taucht aus dem
Hintergrund auf und nimmt neben dem Tisch Aufstellung. Er trägt zwei Pistolen an
der Hüfte und hält einen massiven Holzknüppel in der linken Hand. Nun kommt
noch mehr Leben in die Szenerie. Im Wortsinn mehr. Und das ganz ohne das Wunder
der Geburt. Die Frau, immer noch ein wenig aus der Wunde in ihrer Brust
blutend, setzt sich auf und lässt ihre Augen langsam durch den Raum wandern.
Ihr Blick wirkt geistlos und gelangweilt. Als habe sie das alles schon gesehen
und würde sich jetzt nur mehr für eine wirklich abgefahrene Zerstreuung
bequemen. Einer der Laboranten scheint ihr geeignet.
Mit einer für
eine jüngst Verstorbene recht raschen Bewegung hüpft die Frau vom Tisch,
steuert mit ungelenken Schritten auf den jungen Mann zu und packt ihn am Hals.
Als der Wachmann eine seiner Pistolen zieht und hinter die Frau tritt, hebt
Romero beschwichtigend die Hand. Offenbar gehört das zum kalkulierten Risiko,
denn der Attackierte bleibt ganz ruhig stehen. Er hält der wiedererstandenen
Toten sogar Stift und Block hin. Diese lässt augenblicklich von ihm ab,
schnappt sich das angebotene Material und hockt sich auf den Boden. Dann
beginnt sie, wie wild zu schreiben. Die Kamera schwenkt zu einer Stoppuhr, die
in diesem Moment gestartet wird. Während die Frau mit gezielten Handbewegungen
Zeichen auf dem Papier hinterlässt, scheint Romero zu erklären, was es mit
dieser erstaunlichen Fähigkeit auf sich hat. Bernd wünscht sich, Lippen lesen
zu können.
Professor Romero hebt mit einem Blick auf die
Stoppuhr – genau eine Minute ist vergangen - den Block auf und hält ihn in die
Kamera: Die Frau hat das vollständige Periodensystem niedergeschrieben und mit
einer Reihe chemischer Formeln verziert.
„Ich hab ja immer geglaubt, dass die Menschen
grundsätzlich ein Herz
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