Totsein verjaehrt nicht
beteiligt.
»Wann haben Sie zum letzten Mal mit ihm gesprochen?«
»Im Winter.« Sie nahm die Hand von der Tischkante und ließ den Arm baumeln. »Vor Weihnachten. Wir sehen uns selten, ich weiß nicht mal, ob er seinen Taxischein schon gemacht hat oder die Prüfungen erst noch anfangen.«
»Ihr Bruder hat die Ausbildung vorzeitig beendet.«
»Wirklich? Das war doch so wichtig für ihn, er wollt doch so gern Taxifahrer werden, wie unser Onkel. Der ist erstochen worden! Mein Gott, daran hab ich gar nicht gedacht. Stellen Sie sich vor, Ihre Kollegin hat mir erzählt, dass es um Überfälle auf Taxis geht, und ich hab nicht an Onkel Claus gedacht. Bin ich ein dummer Mensch. Das tut mir so leid. Ich hab das nicht so gemeint, ich mein, dass ich … Aber heißt das dann, dass der Freund vom Dennis Onkel Claus erstochen hat? Wer soll denn das sein? Der Dennis ist doch mit niemand befreundet, der jemanden umbringt. Jetzt kenn ich mich nicht mehr aus. Entschuldigen Sie, Herr … Ich weiß nicht mal mehr Ihren Namen …«
»Feldkirch. Bitte regen Sie sich nicht auf. Wenn Sie ein Glas Wasser oder einen Kaffee möchten, machen wir eine Pause. Es ist sehr wichtig für uns, dass wir Klarheit über Ihren Bruder bekommen, über seine Motive, über die Gründe für sein Verhalten, über seine Freundschaften. Er macht auf mich einen gleichzeitig sicheren und dann wieder einen ganz unsicheren, verlegenen Eindruck, er ist ja noch so jung.«
»Neunzehn, zehn Jahre jünger als ich.« Für eine Weile hellte sich ihr Gesicht auf, und ihre Gesten wurden leichter.»Als Kind ist er sehr schüchtern gewesen, in der Schule haben sie ihn gehänselt, weil er so verdruckst war. Ja, das stimmt, er kann ziemlich selbstbewusst sein, und eine Stunde später sackt er in sich zusammen. Das war immer schon so. Ich hab mich viel um ihn kümmern müssen, unsere Eltern haben ein Lebensmittelgeschäft, früher haben sie sechzehn Stunden am Tag geschuftet, die hatten wenig Zeit für uns. Und dass da noch ein Faust nachkommt, das hat ja keiner wissen können.«
»Was für ein Faust?«, fragte Feldkirch mit einer von Ahnungslosigkeit gesalbten Stimme.
Den Spitznamen von Dennis Socka hatten die Kommissare Ohnmus und Barbarov bei ihren Recherchen in Pasing längst herausgefunden.
»So ist er irgendwann genannt worden, der Dennis«, sagte Olivia und rieb sich mit der linken Schulter an der Wange, was ungelenk und kindlich aussah. »Ich weiß gar nicht mehr, von wem zuerst. Im Kindergarten, glaub ich. Der Faust. Er hat aber nie jemand geschlagen, er war viel zu ängstlich, oder zu ungeschickt. Er war so ein linkischer Bub. Er hat sich schwergetan in der Schule, das Lernen war hart für ihn. Nicht, dass Sie denken, er war dumm, er hatte schon Grips, er hat gern gemalt, und ich glaub, wenn er sich mehr getraut hätt, hätt er ganz gut Gitarre spielen gelernt. Unsere Eltern wollten ihm kein Instrument kaufen, er hat sich eins von einem Freund geliehen, eine alte, zerkratzte Gitarre. Mir hat gefallen, was er gespielt hat. Ich hab den Faust immer ermutigt. Eigentlich mag ich den Namen gar nicht mehr, er klingt so aggressiv, passt nicht zu ihm. Er mag das, wenn man Faust zu ihm sagt. Wieso hat er denn die Taxiprüfung nicht gemacht? Ist er durchgefallen?«
»Nein«, sagte Feldkirch. »Das Taxiunternehmen hat ihn entlassen, weil er wohl einmal angetrunken war.«
Nach den bisherigen Ermittlungen hatte Dennis mindestens zweimal in schwer betrunkenem Zustand fahren wollen.
»Das glaub ich nicht. Dennis ist doch kein Depp. Der versaut sich doch nicht so einen Job. Seinen Lieblingsjob. Wer hat Ihnen das erzählt? Glaub ich nie und nimmer.«
»Er selbst. Hier, auf diesem Stuhl.«
»Er selbst? Und wie hat er das erklärt?«
»Es tat ihm leid, er hat sich bei seinem Chef entschuldigt, aber der blieb stur.«
»Und was macht er jetzt? Macht er eine neue Lehre?«
»Im Moment jobbt er auf dem Großmarkt.«
»Wieso denn auf dem Großmarkt?« Wieder klammerte Olivia sich mit der linken Hand an den Tisch.
»Das weiß ich nicht«, sagte Feldkirch. »Vermutlich, weil er dort Geld verdienen kann.«
»Das könnt er doch daheim auch. Im Geschäft unserer Eltern. Wieso geht er in den Großmarkt? Das ist doch blöd da, da lassen sie ihn Kisten schleppen und Müll wegbringen, das ist doch öde, das sind doch niedere Arbeiten, die er da machen muss. Warum macht er denn das?«
»Das würde ich auch gern wissen. Möglicherweise hat er dort jemanden kennengelernt, der nicht gut
Weitere Kostenlose Bücher