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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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für seine Entwicklung ist.«
    Sekundenlang kniff Olivia die Augen zusammen und rieb die Lippen aufeinander, wie eine konzentrierte Schülerin, die eine knifflige Aufgabe lösen muss.
    »Bestimmt!« Aus großen, vor Überzeugung leuchtenden Augen sah sie Feldkirch an. »Da müssen Sie suchen. Das stimmt. Da treiben sich eine Menge zwielichtiger Tagelöhner rum, das kennt man doch. Und der Dennis ist so gutgläubig, der denkt immer, jeder meint es schön mit ihm, und er kann jedem vertrauen. Da ist er immer noch wie ein kleiner Bub,so ist er geblieben. Auf dem Großmarkt hat er einen Kerl getroffen, und der hat ihm irgendwas erzählt, und Dennis hat es geglaubt, und schon war er in was verwickelt. Aber … aber wenn der Kerl, der andere, Onkel Claus erstochen hat, dann wär der Dennis zur Polizei gegangen, der Dennis hätt den Mörder doch angezeigt. Das versteh ich jetzt nicht. Sie haben vorhin behauptet, der andere hat die Überfälle begangen, und Dennis weiß was darüber. Dann müsst er doch auch wissen, was mit Onkel Claus passiert ist. Dann säß der andere doch schon längst im Gefängnis. Oder?«
    »Das ist ja meine Frage: Können Sie sich einen Grund vorstellen, warum Ihr Bruder so einen Mann, einen Räuber und möglicherweise Mörder, schützt? Warum er eben nicht zur Polizei gegangen ist, sondern geschwiegen hat? Auch wenn Ihr Bruder ein vertrauensseliger Mensch ist, er würde doch nie einem Verbrecher auf den Leim gehen und ihn in Schutz nehmen. Ich habe Ihren Bruder erst heut kennengelernt, aber so etwas würde ich ihm nicht zutrauen. Und Sie auch nicht.«
    »Ich doch nicht! Mein Gott.« Mit mächtiger Anstrengung unterdrückte sie ein Weinen. »Der Faust … der Dennis … wieso sollte der denn den Onkel Claus erstechen? Der Onkel Claus war immer ein Freund von uns, schon früher …«
    Zu dieser Überlegung war sie von sich aus gelangt, Feldkirch hatte Olivia mit keinem Wort in diese Richtung gedrängt.
    Wie oft bei solchen Befragungen, die eigentlich Vernehmungen waren, verselbstständigten sich die Aussagen. Nur wenige Zeugen oder Tatverdächtige hielten über einen längeren Zeitraum das gleiche Maß an Konzentration. Die meisten schweiften entweder ab, was schließlich keine neuen Erkenntnisse brachte, oder sie verzettelten sich in Halbwahrheiten, mit denen sie ein rascheres Ende der Prozedur erhofftenund die der Vernehmer innerhalb kurzer Zeit als Lügen entlarvte. Oder die Zeugen gaben etwas preis, dessen Bedeutung ihnen erst im selben Moment bewusst wurde.
    »Ihr Onkel Claus hat mit Dennis über den Beruf des Taxifahrers gesprochen«, sagte Feldkirch im immer gleichen verbindlichen Ton. »Das bedeutet, dass Ihr Bruder und er sich öfter getroffen haben. Hat Dennis Ihnen davon erzählt?«
    »Nein, davon nicht. Hat er nicht. Nein. Er hat nur erzählt, dass er nicht weiß, was er tun soll.«
    »Was haben Sie ihm geraten zu tun?«
    »Ich wollt, dass er mir sagt, was los ist. Er hat nur rumgedruckst. So ein Rumdruckser immer.«
    »Das war er schon als Kind«, sagte Feldkirch schnell, um Olivia nicht zum Nachdenken zu verleiten. »Er hat immer ein wenig rumgedruckst, wenn er eigentlich was Wichtiges sagen wollte.«
    »Das stimmt. Und das ist ganz schön nervig oft.«
    »Dennis hat Sie angerufen und wollte mit Ihnen sprechen, aber dann wusste er nicht, wie.«
    »Ja, mitten in der Arbeit.«
    »Wann war das ungefähr? Letzte Woche?«
    »Ja, kann sein. Letzte Woche. Nein, am Montag, am letzten Montag, vorgestern.«
    »Vorvorgestern«, sagte Feldkirch. »Heut ist Donnerstag. Am Montag hat Ihr Bruder Sie angerufen. Und ich denk immer noch, Friseure haben am Montag geschlossen.«
    »Manche machen das auch noch, wir nicht, das können wir uns nicht leisten.«
    Bevor sie in Gedanken abschweifen konnte, redete Feldkirch weiter. Er war jetzt wie ein Dirigent, der auf jeden Halbton achten musste. »Dennis rief Sie an, und Sie begriffen zuerst nicht, was er von Ihnen wollte, weil er ja selten bei Ihnen anruft.«
    »Nie. Nie ruft er an. Ich hatte auch keine Zeit. Am Anfang hab ich nicht mal seine Stimme erkannt, er hat vom Handy aus angerufen, von der Straße. Er hat gesagt, er kennt sich nicht aus. Ja. Das fällt mir jetzt wieder ein: Ich kenn mich nicht aus, hat er gesagt. Und ich wollt wissen, ob er sich verfahren hat, da war doch der Straßenlärm im Hintergrund.«
    »Aber Ihr Bruder hatte sich nicht verfahren.«
    »Nein. Weiß nicht. Nein, er hat rumgedruckst, das hab ich doch schon gesagt. Und ich hab zu ihm

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