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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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eines jüngeren Mannes, mit dem Ihr Bruder eng befreundet ist. Ich weiß, dass Sie sich daran erinnern können, Frau Richter.«
    Ihre Augen blickten starr. Sie schniefte nicht, sie schluchzte nicht, sie saß da, die Hände flach auf dem Tisch.
    Nach langem Ringen mit sich sagte sie: »Ich weiß gar nichts von Dennis. Ich glaub, ich hab nie was gewusst von ihm. Er ist mein kleiner Bruder gewesen, und ich hab ihm zuessen gemacht und ich hab ihm vorgelesen und ich hab ihn ins Bett gebracht und ich hab ihn festgehalten, wenn er in der Nacht geweint hat. Er hat so oft geweint, er ist sich immer so allein vorgekommen. Oder stimmt das gar nicht? Doch, das stimmt. Ich war ja da, und er ist sich trotzdem allein vorgekommen, das hat mich manchmal gekränkt. Und jetzt sitz ich hier bei der Polizei wegen ihm, und er hat was angestellt, und ich hab nichts gemerkt am Telefon. Ich wollt zurück zu meiner Kundin, ich wollt nicht, dass der Chef wieder sauer wird, der spinnt oft schnell. Wieso hab ich dem Dennis nicht besser zugehört? Wieso hab ich nicht besser aufgepasst? Aber den Onkel Claus hat er nicht erstochen, das weiß ich, und die Taxifahrerin hat er auch nicht verletzt, so was macht der Dennis nicht. Er hat die Menschen nämlich gern. Wieso verstehen Sie das denn nicht?«
    Sie schaute zur verspiegelten Wand, als meine sie alle, die dahintersaßen.

7
»Wir sind wie du, vergiss das nicht«
    Der Termin beim Haftrichter dauerte zwanzig Minuten.
    Wegen Mordverdachts in Tateinheit mit versuchtem Mord und Menschenraub sowie fünffacher schwerer Körperverletzung wurde Dennis Socka in eine Zelle des Untersuchungsgefängnisses Stadelheim gebracht. Er verweigerte jede weitere Aussage zur Sache, erklärte aber, er verbiete seinen Eltern, ihn zu besuchen.
    Als Hauptkommissar Feldkirch zu Beginn der Vernehmung in der Burgstraße Claudia und Ewald Socka mitteilte, dass ihr Sohn in U-Haft sitze, meinten sie, da gehöre er auch hin. In ihren Augen war Dennis ein Nichtsnutz, und das Schlimmste seien die Konsequenzen für sie selbst und ihr Geschäft.
    »Der schmarotzt sich durch, und wir müssens ausbaden«, sagte sein Vater.
    »Er war immer ein Problemkind«, sagte seine Mutter.
    Obwohl Dennis nach wie vor zu Hause lebte, wussten die Eltern offensichtlich nicht mehr über sein Leben als seine Schwester. Was die Abende und Nächte der Überfälle betraf, konnte das Ehepaar keine konkreten Angaben machen. Die Nacht zum vergangenen Sonntag, in der Ann-Kristin Seliger beraubt und verschleppt worden war, hatten Claudia und Ewald Socka bis etwa ein Uhr nachts in einem Pasinger Lokal verbracht. Dennis sei erst im Lauf des Sonntags nach Hause gekommen und sofort in seinem Zimmer verschwunden, das er bis zum Abendessen nicht mehr verlassen habe. Geredet habe er »wie immer nur das Nötigste«.
    Namen von Dennis’ Freunden wussten die Eltern so wenig wie ihre Tochter. Mehrmals fragte Claudia Socka nach, ob sie nun mit dem Auftauchen von »Pressefuzzis« in ihrem Laden in der Bäckerstraße zu rechnen habe. Als Feldkirch erklärte, darauf habe die Polizei keinen Einfluss, er werde jedoch ihren Familiennamen nicht an die Pressestelle weitergeben, wandte Frau Socka sich an ihren Mann und meinte, sie sollten für alle Fälle heute Nacht noch umdekorieren, »damit anständige Bilder ins Fernsehen kommen«.
    Auf die Frage, ob sie ihrem Sohn einen Raubüberfall und schwere Körperverletzung zutrauten, fing Claudia Socka »kurzfristig«, wie es später im Protokoll hieß, zu weinen an. Ihr Mann schüttelte so lange den Kopf, bis er die Worte »Dem gutgläubigen Rindvieh ist alles zuzutrauen« ausstieß, was das Weinen seiner Frau noch verstärkte.
    Ohne verwertbare Hinweise auf einen möglichen Komplizen von Dennis beendete Emanuel Feldkirch die Befragung.
    Auch die Ermittlungen von Georg Ohnmus und Esther Barbarov in Pasing und auf dem Großmarkt im Schlachthofviertel hatten keine neuen Erkenntnisse erbracht. Anscheinend war der zweite Täter kein Arbeitskollege von Dennis und auch kein ehemaliger Schulfreund. Die vage Beschreibung, die die überfallenen Taxifahrer von den zwei Tätern gegeben hatten – schwarze Kleidung, Anorak oder Windjacke, schwarze Wollmützen, dunkle Brillen, dunkle Jeans –, halfen bei der Suche nicht weiter.
    Wäre der Wirt des Torbräus nicht hellhörig geworden und hätte nicht, wie die meisten seiner Kollegen in einer ähnlichen Situation, an den Gesprächen seiner Gäste vorbeigehört, wären die Kommissare noch immer so

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