Totsein verjaehrt nicht
mich?«
»Hast du mit dem Freund des Jungen auch geredet, Luggi?«, wiederholte Fischer.
»Der hat mich nicht mit dem Arsch angeschaut. Der hat bloß immer seinen Mantel auf meinen gepfeffert, da auf dem Stuhl, neben deinem. Ich leg meinen Mantel sauber hin, und er schmeißt seinen drüber. Arschkopf. Kein Wort hab ich mit dem geredet, hör bloß auf. Der andere war ganz freundlich, aber der Arschkopf war ein Arschkopf.«
»Kannst du den Mann beschreiben?«
»Arschkopf halt. Schmeißt seinen Mantel über meinen drüber. Soll er doch seinen Schlägermantel an die Garderobe hängen.«
»Wieso sagst du Schlägermantel, Luggi?«
»Weil der schwarz war, mit so Nieten am Gürtel. Nerv mich nicht.« Er drehte den Kopf und rief in Richtung Theke: »Charly, bring mir noch eins.« Er riss die Augen auf und schaute Fischer ins Gesicht. »Hab ich doch alles deinem Kollegen schon erzählt.«
»Die Sache mit dem Mantel hast du nicht erzählt.«
»Na und? Ich hab nichts damit zu tun, ich kenn die Typen nicht. Die haben sich auf meinen Platz gesetzt, das ist dasLetzte. Ich musst mich da rüberhocken, wenn ich später gekommen bin als die. Solche Typen gibts überall, nicht bloß im Milieu, wo ich mich auskenn. Ich war früher Koch, ich hab in Hamburg auf dem Kiez gearbeitet, in Zürich, in Wien eine Zeit lang. In sauberen Lokalen, die von ehrlichen Chefs geführt worden sind. Später sind die Osteuropäer aufgetaucht, die Albaner, die alle, da bin ich weg. Und die Typen laufen heut überall rum. Danke, Charly.«
Der Wirt hatte ihm das Weißbierglas hingestellt, Fischer ignorierte er.
»Bist du kein Koch mehr?«
»Im Moment nicht.« Luggi, der eigentlich Ludwig Dorn hieß, rieb seinen Finger unter der Nase und hob mit einer feierlichen Geste das Glas. Schaum tropfte herunter. Luggi leckte ihn ab. Dann setzte er das Glas an die Lippen, holte Luft und trank eine Weile. Den Schaum wischte er sich mit dem Handrücken vom Mund und den Handrücken an seiner Hose ab. »Ich hab Hartzvier grad. Brauchst eine Frau?«
Fischer fragte sich, ob es richtig gewesen war hierherzukommen. Er schwitzte und fror wieder und fand die Ausdünstungen der Kneipe unangenehm, fast abstoßend. Im Krankenhaus wartete Ann-Kristin auf ihn. Sie wartete nicht, das wusste er, er war es, der wartete, der sich die Zeit vertrieb. Deswegen saß er hier und ergraute innerlich im stumpfen Licht der Kneipe.
»Red mit mir«, sagte Luggi. »Oder bist du schwul? Ich kenn auch Männer zum Kaufen.«
»Ich brauche niemanden zum Kaufen«, sagte Fischer.
»Ich kenn ein paar bewaldete Bulgarinnen, so was hast du noch nicht gesehen.«
»Was sind bewaldete Bulgarinnen?«
»Da musst du dich erst durchfräsen mit deinem Jesajatrumm, sonst kommst du nicht ans Ziel, Amigo.«
»Was ist ein Jesajatrumm?«
»Das ist das Gerät, mit dem du die Weltbevölkerung steuerst.«
»Ich steuere die Weltbevölkerung nicht.«
»Zmwl.« Unaufgefordert stellte der Wirt Fischer ein frisches Bier hin.
»Danke.« Fischer wartete, bis der Wirt gegangen war. »Bist du nebenberuflich Zuhälter, Luggi?«
»Bist du blöd? Ich kenn die Frauen von früher, astreine Frauen sind das, Bulgarinnen, bewaldet halt. Es gibt Männer, die stehen da drauf.«
»Mich interessieren die beiden Männer, die immer auf deinem Platz sitzen. Du musst doch einen Namen gehört haben.«
»Jetzt fängst du schon wieder an. Lass mich in Ruhe, gut Nacht.« Er trank, schüttelte das Glas, schlürfte den Schaum ab, roch an seinem Zeigefinger.
Fischer schaute sich um, niemand beachtete ihn und Luggi. Der Anblick des frischen Bieres beschämte ihn. Abgesehen davon, dass er eine Krawatte trug, unterschied er sich nur unwesentlich von den übrigen Gästen, gekrümmt wie sie hockte er da, mit abwesender Miene. Jeder hier, dachte er, nahm sein Leben sehr persönlich und zelebrierte es mit jedem Strich auf dem Bierdeckel. Wenn er nicht bald ging, dachte Fischer, würde er ausfallend werden.
»Luggi?«, sagte er.
Dorn warf ihm einen bewaldeten Blick zu.
»Leihst du mir deinen Mantel?«
Luggis Antwort ging ein stummer Diskurs mit seinem Weißbierglas voraus. »Hast du dir ins Hirn gebieselt? Ich geb dir doch nicht meinen Mantel. Das ist reine Schurwolle, fünfzehn Jahr alt, na und? Such dir einen gescheiten Job, wenn du Geld für einen Mantel brauchst.« Er ruckte, wie schonmehrere Male, heftig mit dem Kopf, vielleicht schüttelte er ihn diesmal auch nur erbost.
»Ich brauche den Mantel nicht für mich«, sagte Fischer.
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