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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wieder sei sie ständig durch die Wohnung gelaufen, habe eine Zigarette nach der anderen geraucht und sämtliche Zeiten durcheinandergebracht. Auch an den folgenden Tagen blieb ihr Verhalten seltsam unklar. Sie schien zwischen Zuversicht und Gleichgültigkeit zu schwanken.Einmal gab sie bereitwillig über ihre Lebensumstände Auskunft, ein andermal raunzte sie die Kommissare an, ihr Liebesleben sei ihre Privatsache und habe nichts mit dem Verschwinden ihrer Tochter zu tun. Eindringlich bat sie die Ermittler, sich sowohl gegenüber Hanno Rost als auch gegenüber »den anderen Herren« diskret zu verhalten und jegliche »Namensnennung zu vermeiden«. Doch daran war – offensichtlich außer Polonius Fischer, das verriet ein entsprechender Vermerk seiner Kollegin Esther Barbarov – ohnehin keiner der Fahnder interessiert.
    Deshalb, so vermutete Liz, las sich die Akte über Hanno Rost wie eine Fußnote. Laut Protokoll war er den ganzen Tag mit Kollegen aus der Firma auf Montage in verschiedenen Münchner Haushalten gewesen. Nach der Arbeit fuhr er nach Hause und trank in der »Herberge«, einer Eckkneipe in seiner Straße, mehrere Biere. Dort, so sagte er aus, habe ihn Michaela »so um neun« am Handy angerufen und ihm mitgeteilt, ihre Tochter sei verschwunden und die Polizei habe eine Suchaktion gestartet. Daraufhin habe er sich sofort ins Auto gesetzt, um nach Ramersdorf zu fahren und ihr beizustehen. Auf den Einwand, dass er betrunken gewesen sei, meinte Rost: »Ein Notfall ist wichtiger als ein Rausch.«
    Ob er tatsächlich in der »Herberge« gewesen war und Michaela Peters ihn dort erreicht hatte und nicht an einem anderen Ort, wurde ebenso oberflächlich überprüft wie sein Alibi. Jeweils ein kurzer Anruf genügte zur Bestätigung.
    Aus den Aussagen der beiden »anderen Herren« ging im Wesentlichen hervor, dass Michaela »eigentlich nie« – diese Formulierung tauchte in beiden Protokollen auf – über ihre Tochter gesprochen habe.
     
    Auf der Fahrt durch die Stadt sagten beide kein Wort. Liz hatte angeboten, ihn nach Hause zu bringen, er hatte erst abgelehnt, dann auf ihr Drängen hin zugestimmt. Am Isartor erklärte er ihr, sie solle geradeaus weiterfahren, den Rosenheimer Berg hinauf und weiter nach Giesing. Natürlich hatte sie »Warum?« gefragt, und er hatte nur nach vorn gedeutet. Vor der Kreuzung, an der das Hotel Brecherspitze lag, bat er sie anzuhalten.
    »Vorübergehend wohne ich hier«, sagte Fischer.
    »Warum sagst du mir so was nicht?«
    Er setzte seinen Stetson auf, griff nach ihrer Hand, drückte sie, zog die Schultern ein.
    »Ist dir schlecht?«, fragte Liz.
    Die Antwort kam so undeutlich über seine Lippen, dass sie nachfragen musste. Und dann begriff sie immer noch nicht, was er meinte.
    »Hab dich nicht verstanden, P-F.«
    »Wir sind Versager«, murmelte er. Seine Stimme kam Liz verändert vor, brüchig, kraftlos und alt.
    »Du brauchst vor morgen Mittag nicht zu kommen«, sagte sie und wollte ihn anschauen. Aber er wandte den Kopf ab und ließ ihre Hand los.
    »Ich habe mich nicht gewehrt«, sagte er. »Ich habe mich abkanzeln und schikanieren lassen. Das weißt du alles nicht.«
    »Nein«, sagte sie laut. »Red mit mir. Was ist damals passiert? Und …«
    Er öffnete die Beifahrertür. »Danke«, sagte er. »Ich will jetzt für mich sein.«
    »Ich versteh dich nicht mehr«, sagte Liz.
    Er schlug die Tür zu und huschte im Dunkeln über die Straße, sperrte die Haustür neben der Gaststätte auf und verschwand. Mindestens eine Minute lang war Liz davon überzeugt, er würde noch einmal herauskommen und ihr zuwinken.Wie gebannt starrte sie durchs Seitenfenster, während die Ampel mehrmals umschaltete. Dann hupte hinter ihr ein Lastwagenfahrer. Wütend schlug sie mit der flachen Hand gegen die Scheibe. Sie gab Gas und musste nach zwei Metern auf die Bremse treten, weil die Ampel auf Rot sprang und sie aus Versehen im dritten Gang angefahren war.
    Am liebsten wäre sie ausgestiegen und hätte Fischer all das ins Gesicht geschrien, was sie ihm den ganzen Tag über nicht hatte sagen können. Dass sie nämlich aus Angst um ihn langsam durchdrehte, dass er ihr ununterbrochen Angst einjagte, dass die Luft um ihn herum nur noch aus Angst bestand und dass jeder, der in seine Nähe kam, von dieser Angst um den Verstand gebracht wurde.
    »Scheiß dir nicht in die Hose«, schrie sie, als der Lkw-Fahrer hinter ihr wieder zu hupen anfing. Der Abbiegepfeil leuchtete grün, aber sie schaute nicht

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