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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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du.«
    »Entschuldige.« In seiner schwarzen Aufmachung, mit dem bleichen Gesicht, über das seine dünnen Haare wie ein schwarzer Vorhang fielen, den Augenringen und seiner verschwurbelten Haltung strahlte er die gleiche Traurigkeit aus wie das Mädchen. »Ich wollt nur … Du siehst halt genauso aus, wie die Scarlett heut aussehen würd …«
    »Das weiß ich doch, das hast du mir schon dreißigmal erzählt …«
    »Deswegen hab ich doch auch dem Kommissar einen Brief geschrieben. Ich hab dich gesehen, und du warst die Scarlett. Und die bist du ja auch, du hast genauso gesprochen wie sie. Deine Stimme hat genauso geklungen wie ihre. Du bist so echt, echter könnt nicht mal die Scarlett selber sein.«
    Mit einem Ruck schüttelte Silke ihre Anspannung ab. »Wie fanden Sie das, was ich gespielt hab, Herr Fischer? Sie haben mich ja nicht gesehen, das wär natürlich noch stärker gewesen. Haben Sie das geglaubt, was ich gespielt hab, ich mein, was ich gesprochen hab und so?«
    »Ja«, sagte Fischer und meinte es so. »Ich habe es hundertprozentig geglaubt.«
    »Ehrlich?«
    »Sie waren sehr überzeugend. Und Sie haben den ganzen Text improvisiert?«
    »War ja kein Text da.«
    »Doch«, sagte Marcel. »Ich hab genau aufgeschrieben, worum’s gehen muss.«
    »Stichpunkte. Sonst nichts. Das können nicht viele, eine Figur nur aus ein paar Stichpunkten entwickeln, das ist schwer. Man muss sich reinversetzen, man muss sich verwandeln, dann ist man die Figur. Dann redet man wie die Figur, die man vorher noch nie gesehen hat. Ich glaub, das kann ein guter Film werden, Marcel.«
    »Die Sache mit dem Tierpark«, sagte Fischer zu Marcel. »Haben Sie die erfunden?«
    »Die hab ich erfunden«, sagte Silke. »Ich kenn mich aus mit Tieren.«
    »Das Stichwort ist von mir«, sagte Marcel und fuchtelte mit seinen beringten Fingern. »Das steht auf einem Zettel,Sie können nachschauen, Herr Fischer, ich hab das aufgeschrieben.«
    Fischer sagte: »Die Scarlett war gern im Tierpark.«
    »Wir waren mal gemeinsam dort. Hat niemand wissen dürfen.«
    »Sie haben mich ganz schön durcheinandergebracht, Sie beide«, sagte Fischer. In diesem Moment bemerkte er, dass er immer noch den Hut aufhatte. Mit einer überhasteten Bewegung griff er danach, und der Stetson glitt ihm aus den Fingern. Bevor er reagieren konnte, hob Silke den Hut auf und klopfte ihn an ihrem Bein ab.
    »Danke«, sagte Fischer verlegen. Er hielt den Hut mit beiden Händen an der Krempe fest.
    »Sie sind also bewegt und erschüttert«, sagte Silke.
    »Ja.«
    Silke griff nach Marcels Hand und schwenkte seinen Arm. »Dann haben wir gute Arbeit geleistet, du als Regisseur und ich als Schauspielerin. Ich dank dir.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Fischer glaubte ein vages Erröten auf Marcels Schneegesicht zu erkennen.
    »Wir müssen die Polizei anrufen«, sagte er. »Außerdem Ihre Eltern, auch Ihre Freundin Luisa, die haben Sie genauso versetzt, wie Marcel mich versetzt hat.«
    »Für die Kunst muss man Opfer bringen.« Silke lächelte ernst wie eine Diva. Als wäre sie Marlene Dietrich an ihrem ersten Arbeitstag bei Joseph von Sternberg.

14
»Er hat kapiert, dass er nicht durchkommt«
    Gegen drei in der Nacht kehrte Polonius Fischer in sein Zimmer im Hotel Brecherspitze zurück.
    Er öffnete das Fenster, zog den blauen Anorak aus und sog die kalte Luft und den Geruch nach Erde und Pflanzen ein.
    In ihm klang die Stimme des Mädchens unter dem Tisch nach. Er drehte sich um und schaute zur Tür, als habe er ein Geräusch gehört. Im Haus war es still. Die Geräusche waren alle in seinem Kopf, das Schlurfen von Linda Thalheims Pantoffeln auf den Steinstufen, das Schlagen der Kellertüren, das Zischeln der Kohlensäure im Wasserglas, das Marcels Mutter ihm gegeben hatte, die Stimme des Mädchens unter dem Tisch.
    Gegenüber den beiden Streifenpolizisten hatte Linda sich so zurückhaltend benommen wie ihr Sohn. Auf die aggressiv vorgetragenen Fragen des Polizisten versicherte Marcel mehrmals, er habe das Mädchen nicht bedrängt und keinesfalls gezwungen mitzukommen, was Silke in unaufgeregtem Ton so oft bestätigte, wie die Polizistin es hören wollte. In der Zwischenzeit hatte sie ihre Eltern angerufen. Ihrer Freundin Luisa wollte sie morgen »alles in Ruhe erklären«. Schließlich fuhren die Polizisten sie nach Hause.
    Das Mädchen vom Marienplatz war nicht Scarlett Peters.
    Niedergeschlagen hatte Marcel sein verkehrtes Schauen

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