Totsein verjaehrt nicht
dieser. »Das Mädchen, Scarlett, wurde ermordet, der Mörder sitzt in der Psychiatrischen Klinik ein, rechtskräftig verurteilt, Revision abgelehnt. Was also treibst du, P-F? Du veranstaltest unnütz Aufregung, die niemand braucht. Entschuldige meine Direktheit, aber jemand muss es dir sagen.«
»Du hast das Recht dazu«, sagte Fischer. Er war damals der Held, sagte Liz’ Stimme in seinem Kopf. Ihre Stimme war immer noch da.
»Genau«, sagte Schell. »Ich hab den Jockel damals geknackt. Ich hab immer gewusst, was mit dem los ist. Dass der uns was vormacht. Der ist nicht so blöde, wie er sich immer hingestellt hat, der hat genau gewusst, was los ist. Er hat uns ins Gesicht gelogen. Dir auch, P-F, aber du hast ihm geglaubt.Und das war eben der Unterschied: Ich hab ihm von Anfang an nicht geglaubt. Und je mehr Zeit verging, je mehr Zeit er hatte, sich neue Ausreden zu überlegen, desto weniger hab ich ihm geglaubt. Und ich hab recht gehabt. Er hat gestanden, und ich musst nicht mal nachhelfen. Ich saß nur da, ihm gegenüber, ich hab ihn in aller Ruhe gefragt, wie das war an dem Montag, und er hat angefangen zu erzählen. Weißt du doch. Er hat kapiert, dass er bei mir nicht durchkommt mit seinen Litaneien und seinen Sprüchen und seinem Heulen. Irgendwann hat er nur noch gejammert und sich in die Hose gepinkelt. Fünfmal, du warst nicht dabei, P-F, fünfmal mussten wir ihm eine neue Hose besorgen, armer Hund. Die Aufregung hat ihn fertiggemacht. Ich hab ihm Zeit gelassen, ich hab ihn nie unter Druck gesetzt, so was lehn ich von Haus aus ab. Ich hab Geduld, das weiß jeder. Der Jockel spielte sein Spiel, und ich hab mitgespielt, und zwischendurch hab ich eine Frage gestellt und noch eine, Stunde um Stunde, die ganze Nacht lang. Und dann ist alles aus ihm rausgebrochen, die Tat, sein Hass auf das Mädchen, das nichts von ihm wissen wollt, seine Rachegefühle. Alles schoss nur so aus ihm raus, er hat alles zugegeben. Wie er sie geschlagen, wie er sich auf sie geworfen, wie er ihr den Mund zugehalten hat. Wie er so lang gewartet hat, bis er sicher war, dass sie tot ist. Er wusste genau, was er tat. Er wollt, dass sie still ist, ein für alle Mal. Er wollt, dass sie nie wieder einen Ton zu ihm sagt, ihn nie wieder demütigt und auslacht, wenn er vor ihr die Hose runterzieht. In dem Moment hatte er den Entschluss gefasst zu töten, und dann hat er den Entschluss in die Tat umgesetzt. Kaltblütig.«
Fischer sagte: »Er hat alles widerrufen, sein ganzes Geständnis, jedes Wort.«
Schell winkte ab. »Danach hat er Schiss gekriegt, das kann man verstehen. Das geht den meisten Mördern so, daswissen wir doch. Er sah das Mädchen da liegen, auf dem Boden in seinem Zimmer, was sollte er tun? Er ging zu seinem Vater, erzählte ihm alles, der Vater brachte die Leiche weg. Der Vaters hats abgschafft, sagt er zu mir in der Vernehmung. Der Vater hats abgschafft. So einen Satz erfindet der Jockel nicht, so einen Satz nicht. So ein Satz entspringt keinem Schrumpfgehirn.« Schell tippte sich an die Stirn. »So ein Satz entspringt der Wahrheit. Und jetzt müssen wir rauf, Emanuel, da sitzt der nächste Mörder.« Er nickte Fischer zu. »Wir zerlegen den Kerl, der deine Freundin misshandelt hat. Und wegen der anderen Sache: Lass es.« Er wandte sich an Valerie. »Ich ruf dich, wenn wir dich brauchen, die nächsten zwei Stunden sicher nicht.«
Schell ging in den Flur hinaus, Esther Barbarov und Emanuel Feldkirch folgten ihm. Sigi Nick zupfte an seiner Schirmmütze.
»Du darfst ihm nicht bös sein«, sagte Valerie. »Isabel ist sieben, er hängt total an ihr, Verbrechen an Kindern nehmen ihn besonders mit, das ist ja klar.«
Isabels Mutter war bei einem Bankraub erschossen worden.
»Der Micha ist schon in Ordnung, manchmal kann er halt nicht an sich halten.«
Valerie ging zur Kaffeemaschine, holte eine Tasse aus dem weißen Schrank in der Ecke und schenkte ein.
»In deinem Büro liegen drei belegte Semmeln«, sagte sie zu Fischer und hatte Mühe, keinen Kommentar zu seinem Aussehen abzugeben. Sie reichte ihm die Tasse. Er legte den Stetson auf einen Stuhl, nahm die Tasse in beide Hände, und der Duft ließ ihn beinahe lächeln.
»Micha und Esther waren die einzigen von euch in der zweiten Soko«, sagte Liz.
»Koburg hat die beiden übernommen«, sagte Valerie. »Erhielt sie für sein bestes Zweierteam. Er hatte Glück. Esther hat Jockel zu Hause befragt und Micha hier bei uns. Dann hat ihn Esther noch mal übernommen, schon in
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