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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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den Knien und stocherte mit der brennenden Zigarette in den Kippen. »Sie kannten sich, sie sind miteinander in die Schule gegangen, er mochte sie, das weiß ich schon. Ich versteh das nicht. Wie lang ist das denn her, seit Scarlett verschwunden ist, vier, fünf Jahre doch …«
    »Sechs Jahre«, sagte der Kommissar. »Im Grunde ist derFall nach wie vor ungeklärt, trotz der Verurteilung eines Täters.«
    »Der Jockel«, sagte Linda, drückte die Zigarette aus und stellte den Aschenbecher auf den Boden. »Der Jockel soll sie ermordet haben. Niemand hier hat das für möglich gehalten. Hat er nicht ein Geständnis abgelegt?«
    »Ja, und er hat es widerrufen. Ich würde gern mit Ihrem Sohn sprechen, Frau Thalheim.«
    »Ich auch«, sagte sie und stand auf. Sie huschte nah an ihm vorbei, schlüpfte in ihre Pantoffeln und war schon an der Kellertür, bevor Fischer ihr hinterherkam.
    Schuhe säumten die Kellertreppe, ungefähr zwanzig Paar. Fischer stützte sich an der Wand ab, um nicht zu stolpern.
    Unten klopfte Linda an die linke der drei geschlossenen Türen. Aus einem der Räume drang das Brummen der Heizungsanlage. Hinter der Tür, an die Linda geklopft hatte, blieb es still.
    »Marcel«, rief sie. »Hier ist Besuch für dich.« Sie schlug noch einmal gegen die massive Tür und drückte die Klinke. Es war abgesperrt.
    Nach einer Weile drehte jemand den Schlüssel. Die Tür ging einen Spaltbreit auf. Fischer erkannte Marcels bleiches Gesicht und seine schwarzen dünnen Haare.
    »Was ist?«, sagte der Junge.
    Fischer stellte sich neben Linda. »Ich habe heut Mittag auf dich gewartet.«
    »Tut mir leid.« In dem Raum brannte fahles Licht.
    »Dürfen wir mal rein?«, sagte Linda.
    »Ist jetzt schlecht.«
    »Kennst du ein Mädchen mit dem Namen Silke Heinrich?«, fragte Fischer.
    »Kenn ich nicht.«
    »Du hast mit ihr am Marienplatz gesprochen.«
    »Hab ich nicht.«
    »Lass uns rein«, sagte Fischer. »Sonst kommst du in eine schwierige Situation.«
    »Wie, schwierig?«
    »Sehr schwierig, Marcel«, sagte Fischer, drängte sich an Linda vorbei, schob die Tür auf und den Jungen zur Seite und betrat den engen Raum.
    Links hinten standen zwei Computer auf Sperrholzplatten, die über zwei Holzböcke gelegt waren. Zwischen den Böcken hing eine graue Wolldecke bis zum Boden, die von einer alten Schreibtischlampe angestrahlt wurde. Die Lampe stand auf einem schiefen Campingtisch. Auf einem Plastikklappstuhl lag eine Videokamera.
    »Wer ist unter dem Tisch?«, sagte Fischer.
    »Niemand«, sagte Marcel.
    »Soll ich nachsehen?«
    Linda versetzte ihrem Sohn einen Stoß in die Seite. »Du hast dem Herrn Fischer einen Brief geschrieben und mir kein Wort davon gesagt.« Sie schubste ihn noch einmal. »Du verheimlichst mir schon wieder was. Ist da jemand unter dem Tisch?«
    Marcel stand da, mit hängenden Armen, in einer schwarzen Pluderhose und einem weiten schwarzen Hemd. Seine strähnigen Haare bedeckten die Hälfte seines Gesichts. Er schob den Mund hin und her und starrte zu den Computern.
    »Wen hast du hier versteckt, Marcel?« Fischer hatte nur noch Augen für das Versteck.
    Marcel gab einen knurrenden Laut von sich, nahm die Videokamera, schaltete sie an und sagte in Richtung der herunterhängenden Wolldecke: »Take sechs: Scarlett Peters berichtet aus ihrem Verlies. Du kannst weitersprechen, Scarlett.«
    Dann hielt er die Kamera hoch, und die dünne, erschöpfte Stimme eines Mädchens ertönte.

13
»Deshalb fürcht ich mich nicht«
    »Und dann«, sagte das Mädchen mit weicher Stimme in seinem Versteck, »bin ich nur noch in der Nacht auf die Straße gegangen, und niemand hat mich gesehen. Das war das Schönste. Ich war unsichtbar und konnte machen, was ich wollte. Und jeden Tag hat mir mein Freund etwas zu essen gebracht. Manchmal haben wir gemeinsam gegessen, und er hat mir erzählt, was in der Schule los ist und was sonst passiert auf der Welt. Bis in die Nacht hinein sind wir dagesessen, und ich hab mich an ihn angelehnt und ihm zugehört.
    Ich glaub, niemand hat mich wirklich vermisst, meine Mutter bestimmt nicht. Die hat so viel mit sich selber zu tun, so viel den ganzen Tag, da vergisst die mich von selber. Allen Leuten sagt sie, dass sie mich liebt. Das sagt sie nur so, weil die Leute das hören wollen. Weil ich doch verschwunden und wahrscheinlich tot bin, und der Jockel ist verurteilt worden. Weil er mich umgebracht hat. Später mal werde ich ihm alles erklären. Ich werd zu ihm ins Gefängnis gehen und ihm sagen,

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