Totsein verjaehrt nicht
betrunken?« Liz Sinkel sprach laut ins Telefon. »Wir gehen doch nicht mit Zeugen und schon gar nicht mit Tatverdächtigen ins Bett. Das ist doch Mumpitz, P-F.«
»Weißt du etwas darüber oder nicht?«, sagte Fischer zum zweiten Mal. Er stand vor seinem Wagen in der Hechtseestraße, nicht weit von Hardys Stüberl entfernt.
»Nein«, wiederholte Liz. Fischer hörte das Rascheln von Papier. »Erstens war ich damals nicht dabei, zweitens hätt ich, wenn ich so was mitgekriegt hätt, garantiert Alarm geschlagen. Das wär ja irrsinnig. Ich dachte, du hast irgendwelche echten Neuigkeiten, du willst neue Fenster öffnen, die uns vielleicht eine neue Sicht auf den Fall ermöglichen. Und jetzt treibst du dich in Gerüchteküchen rum. Wo bist du überhaupt?«
»Habe ich dir doch gesagt, in Ramersdorf. Ich war in der Kneipe von Jockels Eltern. Die Männer haben keinen Grund, mir Unsinn zu erzählen.«
»Du bist fertig, P-F.« Aufgebracht suchte Liz nach Worten. »Hör auf, mir so peinliche Sachen zu erzählen. Natürlich reden die Leute Unsinn, du bist Polizist, sie sind auf der Seite von Jockels Vater, und das werden sie immer bleiben. Was für eine Geschichte! Micha hat ein Verhältnis mit Scarletts Mutter, und deswegen zwingt er einem geistig behinderten Tatverdächtigen ein Geständnis auf. Du drehst langsam durch.«
»Ob es sich um Micha handelt, steht nicht fest.«
»Das muss auch nicht feststehen, denn es stimmt nicht.«
»Ich brauche vielleicht deine Hilfe«, sagte Fischer.
»Wenn du so weitermachst, kann ich dir nicht helfen.«
»Du hörst wieder von mir.« Er legte auf, bevor Liz noch etwas erwidern konnte.
Der Himmel war voller dunkelgrauer Wolken. Fischer bildete sich ein, erste Regentropfen zu spüren. Er war sich nicht sicher. Er war zu angespannt, um länger über das Wetter nachzudenken, über den Wind in den Sträuchern der Vorgärten, über das verwaschene Laub auf dem Vorplatz des ehemaligen griechischen Restaurants Akropolis.
Wie aus Lautsprechern klangen die Stimmen der Männer aus der Kneipe in ihm nach, am eindringlichsten die des Wirts, obwohl er weniger als die anderen geredet hatte. Was Fischer hörte, war eine heisere, hohl klingende Stimme, die aus einem vergessenen Keller zu kommen schien, so, als habe Eberhard Krumbholz sie lange nicht mehr gebraucht oder sich lange nicht mehr an sie erinnert.
»Es gibt nichts mehr zu erzählen«, sagte Luisa Krumbholz und hielt mit beiden Händen eine bauchige weiße Kaffeetasse fest, die dasselbe Blumenmuster hatte wie die ihres Mannes in der Kneipe.
Aus dem Heizkörper unter dem Küchenfenster drang ein gleichmäßiges leises Rauschen. Auf dem Herd standen zwei Töpfe, aus denen der Duft nach frischer, vor sich hin köchelnder Gulaschsuppe stieg.
Luisa Krumbholz hatte Fischer an der Tür aus müden, abwesenden Augen angesehen, ihm wortlos zugehört und dann mit dem Kopf in Richtung Küche gedeutet.
Außer nach Suppe roch es in der mit hellen Möbeln vollgestellten Wohnung nach Reinigungsmitteln und Rasierwasser.An der Wand in der Küche hing ein Kreuz. Darunter saß die fünfundsechzigjährige Frau, die mit ihren schwarzen Ringen unter den Augen, dem zermarterten Gesicht und den grauen Haaren wesentlich älter aussah. Das kurzärmelige, schwarze, schlichte Kleid ließ ihre Arme noch bleicher und dünner erscheinen. Im Vergleich zu ihrem Mann wirkte sie ausgemergelt, gebrechlich.
»Wieso setzen Sie sich nicht?«, sagte sie mit leiser, aber klarer Stimme.
Fischer stand neben der Tür und presste die Hände hinter dem Rücken gegen die Wand. »Wie geht es Ihrem Sohn, Frau Krumbholz?«
Sie stellte die Tasse auf das weiße Tischtuch, nahm die Hände nicht weg. »Er hört den ganzen Tag Musik. Und er spielt Basketball im Hof.«
»In einer Mannschaft.«
»Nein«, sagte sie. »Mit sich selbst. Er wird wütend, wenn ein anderer mehr Körbe wirft als er.«
»Welche Musik hört er?«
»Schlagermusik. Deutsche Schlager, er hat ungefähr hundert CDs.«
»Die haben Sie ihm geschenkt.«
»Ja.«
»Und wie geht es Ihnen, Frau Krumbholz?«
Einige Sekunden lang zuckte ihr Mund, als schaffe er es nicht, ein Lächeln zu formen. »Das hat mich seit Jahren niemand mehr gefragt. Wie es mir geht? Weiß nicht genau. Ich steh jeden Morgen um sechs auf, länger kann ich nicht schlafen. Mein Mann kommt vor neun nicht aus dem Bett. Ich bereite Essen vor, Suppe, Fleischpflanzerl, Salate, gelegentlich einen Kuchen. Ich arbeite lieber hier als in der Kneipe,
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