Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
ich nehm die Sachen dann mit. Ist ja nicht weit. Wie’s mir geht? Warum wollen Sie das wissen?«
    »Ich glaube nicht, dass Ihr Sohn schuldig ist«, sagte Fischer. Das war ein verbotener Satz, doch er hätte ihn am liebsten wiederholt. Wieder musste er an Ann-Kristin im Sommer denken, wieder katapultierte ihn dieser Gedanke zurück in seine selbst gewählte, irrwitzige Gegenwart.
    Luisa Krumbholz ließ die Tasse los, schaute zu den Töpfen, legte den Kopf schief. »Er ist verurteilt worden, und das Urteil kann man nicht anfechten.«
    »Das könnte man schon, wenn Scarletts Leiche gefunden würde.«
    Sie sah den Kommissar an. »Was wollen Sie von mir? Sie haben mit meinem Mann gesprochen, mehr gibts nicht zu sagen. Es ist geschehen, was geschehen ist, wir haben dafür gebüßt, alle drei, und wir werden bis an unser Lebensende büßen.«
    »Sie mussten Ihr Restaurant schließen.«
    Wieder zuckten ihre Lippen, sie verschwanden fast nach innen. »Wir hätten schon nach einer Woche zusperren können, eine Woche nach dem Urteil. Vorher sind die Leute gekommen und haben uns bedauert, danach haben sie gedacht, wir sind doch schuld. Wir alle drei. Mein Sohn, der das Mädchen erwürgt oder sonst wie umgebracht hat, mein Mann, der die Leiche versteckt hat, und ich, die alles gewusst hat. Sie haben vorhin an der Tür gesagt, das Urteil muss nicht der Schlusspunkt sein. Das Urteil ist der Schlusspunkt, Herr Fischer, für uns geht nach so einem Urteil das Leben nicht mehr weiter, es ist aus. Acht Monate haben wir noch jeden Tag aufgesperrt, eingekauft und sauber gemacht. Manchmal kamen noch ein paar Neugierige oder Durchreisende, die das Restaurant zufällig gesehen haben. Journalisten kamen auch immer noch. Die hab ich nicht bedient, die hat mein Mann bedient, der hat da weniger Skrupel. Wahrscheinlich hatte er recht, die Journalisten haben auch Umsatz gemacht. Erfahrenhaben sie nichts von uns. Dann mussten wir unsere beiden Köche und die beiden Helfer entlassen, dann hab ich mich in die Küche gestellt. Hab ich früher nur sonntags getan, die Woche über hab ich mich um Jockel gekümmert. Das Restaurant lief sehr gut. Die Leute gingen gern griechisch essen. Wir haben es gemeinsam aufgebaut, Sie wissen, dass ich Griechin bin.«
    »Geboren in Thessaloniki«, sagte Fischer. »Dort haben Sie auch Ihren zukünftigen Mann kennengelernt.«
    »Sie haben die Akten gelesen. Wir waren Anfang zwanzig, er reiste mit einem Freund durch Griechenland. Am Ende bin ich mit ihm nach Deutschland gereist. Nach München. Zuerst Giesing, dann Ramersdorf. Und da bin ich immer noch.« Sie faltete die Hände und senkte den Kopf.
    »Sie haben ein Kind bekommen, ein Mädchen, das später bei einem Unfall starb.«
    Nach einem Blick zum Kreuz an der Wand trank sie einen Schluck Kaffee und behielt die Tasse in beiden Händen. »Esther. Sie war sechs, als sie starb. Mein Mann war nicht schuld. Wir waren auf Chalkidike auf dem Weg zum Meer, ein Tagesausflug. Ein betrunkener Autofahrer. Er kam uns entgegen, auf unserer Seite. Unser Wagen überschlug sich und blieb in der Wiese liegen. Esther wurde rausgeschleudert, sie ist verblutet. Mein Mann ist dem Betrunkenen in letzter Sekunde ausgewichen, das war ihr Tod. Vielleicht hätt sie überlebt, wenn wir ganz normal zusammengestoßen wären. Sieben Jahre danach hab ich noch mal ein Kind gekriegt, da war ich schon sechsunddreißig. Den Jonathan. Weiß auch niemand, warum der an Hirnhautentzündung erkranken musste. Wir haben uns nicht geschämt, niemals. Er hat lesen und schreiben gelernt, und er wär vielleicht ein guter Klavierspieler geworden. Er hat immer gern gespielt, gesungen auch. Dann nicht mehr. Er hat im Restaurant mitgeholfen,die Gäste mochten ihn. Jetzt wissen Sie alles. Aber das wussten Sie ja schon vorher.«
    »Nein«, sagte Fischer. »Ich wusste nicht, dass Jockel als kleines Kind Klavier gespielt und gesungen hat.«
    »Ist das denn wichtig?«
    »Diese Erinnerung hilft Ihnen, wenn Sie für Ihren Sohn CDs aussuchen und ihm einen Schokoladenkuchen backen.«
    Die Tasse rutschte ihr aus der Hand, fiel auf den Tisch und kippte nicht um. »Woher wissen Sie, dass ich für Jockel Schokokuchen backe?«
    »Sie haben es immer getan, auch für Scarlett.«
    »Ja.« Sie schob die Tasse von sich weg und faltete wieder die Hände, presste sie fest aneinander. »Für die Kinder hab ich viel gebacken. Ja, auch für die kleine Scarlett, obwohl ich sie nie besonders mochte. Sie war mir immer zu selbstverliebt. Aber

Weitere Kostenlose Bücher