Totsein verjaehrt nicht
Schuhkartons, Kisten und Aktenordner, vollgestopft mit Papieren, Zeitungen, Klarsichtfolien, Schreibblöcken und losen Zetteln. Vor dem Fenster stand ein einfacher Küchentisch mit einem blauen Klappstuhl,daneben ein Beistelltisch mit Rädern, beide Tische voller Büroutensilien, Quittungen, Schreibmappen, Tassen, in denen Kugelschreiber und Filzstifte steckten, ein Taschenrechner und, vergraben unter einem Berg zum Teil abgehefteter Rechnungen und Briefe, ein grauer Laptop. Außer einem etwas schiefen, breiten Kleiderschrank an der anderen Wand und einer altmodischen Stehlampe mit vergilbtem Schirm neben dem Arbeitstisch gab es noch ein schmales Holzbett, über dem eine rote Wolldecke mit Sternenmuster ausgebreitet lag.
»Das war Jockels Bett«, sagte er.
»Das war Jockels Zimmer«, sagte Luisa Krumbholz und wandte sich zum Flur, hielt inne und warf Fischer einen kurzen, hellen Blick zu. »Sein jetziges Zimmer ist viel schöner, mit Blick in den Garten, wo die Vögel singen und Elstern herumspringen. Das hier ist das Büro meines Mannes.«
»Er hat alle Artikel und Berichte über den Fall gesammelt.«
»Jeden einzelnen.«
»Und er liest immer noch darin.«
»Jedes Wochenende. Ich darf ihn nicht drauf ansprechen. Jeden Sonntag sperrt er sich ein, er sagt, er muss Büro erledigen. Sieht das aus, als würde er regelmäßig Büro erledigen? Er hat einen Freund bei der Brauerei, sonst hätten sie ihm das Lokal schon längst zugesperrt, Rechnungen bezahlt er grundsätzlich zu spät. Haben Sie genug gesehen?«
»In diesem Zimmer hat Jockel angeblich Scarlett getötet«, sagte Fischer.
Sie zuckte mit der Schulter, sah zu Boden.
»Sie haben Playstation gespielt, wie schon oft.«
»Wacky Races.«
Fischer hatte nicht zugehört. »Bitte?«
»Das Spiel«, sagte Luisa Krumbholz. »Wacky Races hießdas Spiel. Den Namen hab ich mir gemerkt, ich weiß nicht, was das bedeutet. Ein Autorennen, glaub ich. Das hat er gespielt, stundenlang. Und das Mädchen auch.«
»Scarlett.«
»Ja.«
»Braucht man für das Spiel keinen Fernsehapparat?«
»Mein Mann hat ihn weggeworfen. Wir haben keinen Fernseher mehr. Das Geld sparen wir uns. Ich muss langsam wieder rüber in die Kneipe.«
In diesem Zimmer mischte sich der Geruch einer trostlosen Gegenwart mit den Ausdünstungen einer absterbenden Vergangenheit. Nichts in diesem Zimmer vermittelte den Anschein von Versöhnung. Als Fischer beim Hinausgehen, wie aus Versehen, auf den Lichtschalter drückte, warf die nackte Glühbirne, die verstaubt an der Decke hing, ein schäbiges Licht auf die Dinge.
»Mein Sohn wird nie wieder gesund«, sagte Luisa Krumbholz an der Haustür. »Egal, wo er leben muss.«
Seine Frage hätte er eher stellen sollen, aber es hatte sich nicht ergeben. Oder er hielt sie für unangemessen. »Trauen Sie Ihrem Mann zu, Scarletts Leiche versteckt zu haben?«
Luisa wirkte nicht so, als würde die Frage sie schockieren oder überraschen. Mit einem unmerklichen Zucken in den Mundwinkeln sah sie Fischer ins Gesicht. »Ich dachte, Sie haben die Akten studiert. Dann müssten Sie wissen, was meine Meinung dazu ist.«
»Sie haben ausgesagt, dass Sie Ihren Sohn nicht für schuldig halten.«
»Das hab ich gesagt.«
»Und Ihren Mann?«
»Wenn ich meinen Sohn für unschuldig halte, muss ich auch meinen Mann für unschuldig halten, das ist logisch.«
»Das ist nicht logisch«, sagte Fischer. »Ihr erwachsenerSohn ist nach seiner Krankheit ein Kind geblieben, ein geistig geschädigtes Kind, und wenn er Scarlett umgebracht haben sollte, dann niemals mit Absicht. Er wäre nicht schuldig. Er wäre allenfalls schuld an Scarletts Tod, aber schuldig wäre er nicht. Ihr Mann wäre schuldig, wenn er die Leiche beseitigt hat. Halten Sie ihn für fähig, so etwas zu tun?«
Obwohl sie im Flur stand, fuhr der kalte Wind durch ihre grauen Haare und wirbelte sie auf. Hastig strich sie sie mit beiden Händen glatt. Sie wollte etwas sagen.
Fischer stand vor der Tür, mit dem Rücken zur Straße. Schritte kamen näher. Aus den Augenwinkeln sah er eine ältere Frau mit einer Einkaufstasche am Haus vorübergehen, sie hielt den Kopf gesenkt.
Nachdem die Schritte verklungen waren, öffnete Luisa Krumbholz den Mund, zögerte und trat einen Schritt auf Fischer zu. Im abgenutzten Licht des Nachmittags schien ihr Gesicht zu verblassen. Fischer drehte den Kopf ein wenig zur Seite. Sie beugte sich näher zu ihm, berührte ihn mit ihrer kalten, dürren Hand behutsam an der Wange und
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