Totsein verjaehrt nicht
leer.
»Sprich mir nach.«
»Ja … ja …«
»Micha Schell ist der Vater …«
»Micha … Micha Schell ist der Vater …«
»… von meiner Tochter Scarlett …«
»… von meiner Tochter Scarlett, ich erstick, ich erstick …«
»… und er weiß es nicht.«
»… und … und er weiß es nicht, das stimmt doch, das …«
»Und ich …«
»Und ich …«
»Lass mich aussprechen.«
»Entschuldige, ich krieg … nicht mehr so fest drücken, bitte …«
»Und ich bin unschuldig an Scarletts Verschwinden…«
»Und ich … ich bin unschuldig … ja, an … an Scarletts Verschwinden und …«
»Und ich weiß nicht, wo sie heute lebt oder was mit ihr geschehen ist.«
»Und ich weiß nicht, dass … ich weiß nicht, wo sie lebt und … und was mit ihr geschehen ist. Darf ich noch was sagen, bitte …«
»Was willst du sagen?«
»Ich … ich möcht, dass sie wiederkommt, ich schwörs, ich …«
»Und das Grab hier?« Er nahm ihren Kopf in beide Hände und drückte zu. »Du hast ein Grab für sie gekauft. Du hast sie beerdigt. Du hast deine Tochter für tot erklärt. Du wolltest, dass sie weg ist.«
»Nein. Nein.«
»Hörst du, was sie sagt? Hörst du, was Scarlett zu dir sagt? Du sollst zuhören.«
»Ich hör sie nicht … ich bitt dich … Wir sind doch ganz allein hier …«
»Du sollst zuhören.«
»Ich kann nicht.«
»Du sollst still sein«, schrie er so laut, wie er seit den Nächten in seiner Zelle nicht mehr geschrien hatte.
Sie duckte sich unter ihm. Er hörte das irre Schlagen ihres Herzens. Aus ihrer Nase tropfte Schleim. Sie unterdrückte ihr Schluchzen. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, ihr Kopf zwischen seinen Händen.
Eine Minute lang, reglos.
Das Rascheln der Blätter, vorüberfahrende Autos in der Ferne. Michaelas Röcheln, das lauter wurde.
Dann, mit letzter Anstrengung, öffnete sie den Mund.
»Ich bitte … ich bitt dich um Verzeihung, Scarlett, für … Dass ich dich geschlagen hab und schlecht … schlecht behandelt hab und so viel … und weg gewesen bin und … Und ich bitt dich um Verzeihung, dass dir die … Ich hätt meine Freunde nicht mitbringen dürfen, die du … die dir doch nicht gefallen haben, das hab ich … gewusst. Und ich bitt dich … bitt dich um Verzeihung, dass du geglaubt hast, dass der Ringo dein Vater ist, obwohl … Ich hab alles falsch gemacht, und ich nehm … ich nehm auch das Grab wieder weg, ich schwörs dir, gleich … gleich schon morgen nehm ich das Grab weg … Du bist ja vielleicht gar nicht tot, wie … Das hat der Micha vielleicht nur behauptet und sein Chef. Die haben mir das eingeredet. Und wenn du … und wenn du wiederkommst … wenn du wieder zurückkommst zu mir, dann … dann bist du nicht mehr allein, weil du hast dann eine kleine Schwester oder … oder einen kleinen Bruder, das weiß ich noch nicht … Du bist dann nicht mehr allein, wenn ich weg bin und arbeiten muss. Und Freunde, die du nicht magst, bring ich … die kommen nicht mehr zu uns nach Hause, das schwör ich dir. Das schwör ich dir.«
Sehr langsam drehte sie den Kopf. Fischer hatte sie losgelassen, und sie bemerkte es erst jetzt.
»Du bist schwanger«, sagte er.
Sie nickte und ließ erschöpft den Kopf sinken.
Er kniete sich neben sie. Er half ihr, sich aufzusetzen, und schlang die Arme um sie. Sie zitterte, ihr Herz schlug schnell.
Fischers Herz raste. Alles in ihm raste.
»Niemand hat mir geglaubt«, sagte Michaela. Ihr Bauch bewegte sich auf und ab, Fischer rieb behutsam darüber. »Mach weiter, bitte … Sie haben alle gedacht, ich hab die Scarlett umgebracht … Oder weggebracht, ins Ausland, verkauft. Nur … nur der Micha hat mir geglaubt, der hat gewusst, dass ich so was nicht mach. Aber … aber ich weiß nicht, ob der Jockel sie wirklich umgebracht hat. Glaubst du das?«
»Nein.«
Es war kalt.
Sie saßen im nassen Gras. Fischer versuchte sich zu erinnern, was gerade geschehen war.
Michaela schmiegte den Kopf an seine Schulter. »Die Scarlett hat ihn so gemocht, er war ihr großer Freund. Aber er hat sich vor ihr ausgezogen und hat … Ich geh bald weg. Ich zieh zu meiner Mama nach Weimar, mein Kind … das wird in Thüringen geboren. Ich sag Hanno, dass er der Vater ist, und wenn er erfährt, dass ich wegzieh, dreht er durch. Wenn er mitkommt, solls mir recht sein, wenn nicht, ists mir auch recht. Ich schlag mich schon durch.«
Sie seufzte, dann legte sie eine Hand auf seine. »Ich hab gedacht, du willst mich umbringen. Du warst so
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