Totsein verjaehrt nicht
verändert auf einmal. Ich hatte solche Angst. Wenn ich nicht so betrunken gewesen wär … Ab dem Wochenende hör ich auf mit trinken und rauchen, das hab ich mir fest vorgenommen.«
»Und morgen löst du das Grab auf«, sagte Fischer.
»Ja. Das Grab. Schau, es ist in der ersten Reihe. Das kostet doppelt. Ab der zweiten Reihe muss man nur die Hälftezahlen. Ich wollt aber, dass die Scarlett ganz vorn liegt. Nächsten Monat wär sie sechzehn geworden.«
»Vielleicht wird sie es ja.«
»Ja«, sagte Michaela. »Vielleicht wird sie es irgendwo, oder im Himmel. Halt mich noch ein bisschen fest. Ich werd nicht so oft festgehalten. Die Kranken halten mich manchmal fest, dabei sollt ich ja sie festhalten. Ach nein, die halten sich ja nur an mir fest, die meinen mich gar nicht. Das macht nichts, das ist mein Job. Aber dein Job ist es jetzt, mich festzuhalten.«
Ja, wollte er sagen, das tue ich. Aber er kam nicht dazu, etwas zu sagen.
»Was tun Sie hier?«, rief eine Stimme aus der Dunkelheit. »Polizei. Wir haben eine Waffe auf Sie gerichtet. Stehen Sie bitte langsam auf.«
Dann prallte der Lichtkegel einer Taschenlampe auf Fischers Gesicht.
21
»Möchten Sie eine Erklärung abgeben?«
Um Punkt zwölf betrat Dr. Veit Linhard sein Büro im vierten Stock des Polizeipräsidiums an der Ettstraße.
Seine Sekretärin hatte Polonius Fischer gebeten, auf der Ledercouch Platz zu nehmen, aber er hatte ihr erklärt, er wolle lieber stehen bleiben. »Ja, ja«, meinte sie daraufhin und verließ mit flinken, nahezu lautlosen Schritten den nach Vanille riechenden Raum.
»Setzen wir uns«, sagte Linhard, nachdem er Fischer mit verschlossener Miene die Hand gedrückt hatte. Die Akte, die er mitgebracht hatte, legte er vor sich auf den Tisch, auf dem eine Flasche Mineralwasser und drei Gläser standen. Fischer setzte sich in den Ledersessel.
»Möchten Sie was trinken?«, fragte Linhard.
»Nein.«
»Zunächst möcht ich sagen, dass ich mich freue, Sie mal wieder zu sehen. Die Umstände sind allerdings kaum erfreulich.«
Fischer hatte ein dunkelblaues Hemd und eine schwarze Hose angezogen. Nachdem die Polizisten, die der Taxifahrer alarmiert hatte, Michaela Peters und Fischer aufs Perlacher Revier gebracht und ihre Personalien aufgenommen hatten, durften sie nach Hause fahren. Fischer ließ sich von einer Streife in die Winterstraße bringen, wo sein Mitsubishi stand. In seinem Hotelzimmer legte er sich angezogen aufs Bett, steckte die Hände in die Manteltaschen und blickte zur Decke. Da hörte er es wieder, das Schweigen Gottes, und er erkannte es. Und mit einem Mal erschreckte es ihn nichtmehr. So lag er wach und still und ohne zu schlafen, bis kurz vor acht, als Anita Berggruen an die Tür klopfte und ihm mitteilte, dass er einen Termin beim Polizeipräsidenten habe.
»Die Umstände«, sagte Linhard und klopfte mit beiden Zeigefingern auf die Akte, »sind für alle Beteiligten denkbar belastend. Unabhängig davon, ob es eventuell zu einer Anzeige der Stadt wegen Störung der Totenruhe oder wegen Sachbeschädigung oder sogar wegen Vandalismus kommen mag, bin ich erschüttert nicht nur über die Art, wie Sie versucht haben, die Arbeit der Kollegen in Frage zu stellen, geradezu zu torpedieren und im Nachhinein quasi öffentlich zu kritisieren.
Sie haben sich angemaßt, einen Fall, der vor Gericht verhandelt und definitiv abgeschlossen wurde, ohne konkreten Anlass noch einmal aufzugreifen und Ermittlungen durchzuführen, zu denen Sie in keiner Weise berechtigt sind. Was Sie getan haben, ist Amtsanmaßung. Ich begreife nicht, wie ein erfahrener Kollege wie Sie derart abdriften kann.
Ich erwarte eine eindeutige Erklärung von Ihnen, zum einen. Zum anderen erwarte ich eine klare Entschuldigung gegenüber den Kollegen, die damals den Fall der verschwundenen Scarlett Peters unter schwierigsten Umständen anklagefähig ermittelt haben. Im Augenblick, Herr Fischer, findet unser Gespräch unter vier Augen statt, und ich möcht, dass wir die Dinge auf den Tisch bringen und uns am Ende drüber einig sind, dass Sie Ihre Kompetenzen maßlos überschritten haben und sich möglicherweise von einer undurchsichtigen Ausgangssituation in die Irre leiten ließen. Denken Sie, wir können zu so einem Ergebnis kommen?«
Nach einem Schweigen, das ihm leichtfiel, sagte Fischer: »Trotz der Verurteilung von Jockel Krumbholz gibt es bis heute Hinweise darauf, dass jemand anderes der Täter gewesen sein könnte.«
»Wer, Herr Fischer?«
»Jemand
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