Touched
laufen, denn bisher nahm ich eines an: Dass ich eine Heilerin war.
Ein Teil von mir feierte meinen ersten Tag an der neuen Schule, wo Asher in der Englischstunde – dem einzigen Fach, das wir gemeinsam hatten – nicht mehr als einen flüchtigen Blick für mich übrig hatte, ehe er mit dem zierlichen Mädchen neben sich zu flirten begann. Unerklärlicherweise war ich enttäuscht. Der Hang zum Alleinsein, den ich am Strand bei ihm gespürt hatte, passte nicht zur Wirklichkeit. Ich aß mit Lucy zusammen zu Mittag, während er mit seiner Schwester und ihren Freunden in der Cafeteria saß. Eigentlich hätte ich über sein Desinteresse froh sein müssen, doch irgendwie zog mich das Ganze herunter, und das bekam in dieser Woche auch meine Familie zu spüren. Ben und Laura tauschten nachdenkliche Blicke aus, und wir benahmen uns wie die Fremden, die wir waren, und gingen uns aus dem Weg. Ich verbrachte viel Zeit allein auf meinem Zimmer.
Ohne mein Wissen planten Laura und Lucy für das Wochenende einen Einkaufsbummel in der Mall in South Portland. Sie taten so, als bemerkten sie meine mangelnde Begeisterung nicht. Aber was sollte ich tun, in einer größeren Stadt erwarteten mich nun mal größere Menschenmengen. Andererseits konnten sie ja nichts dafür, dass ich diese freakigen Fähigkeiten hatte. Sie bemühten sich so, dass ich mich zugehörig fühlte, daher biss ich die Zähne zusammen und stimmte all ihren Plänen zu.
Gegen Ende dieser ersten Woche rutschte ich im Klassenzimmer nervös auf meinem Stuhl herum, bis mir auffiel, dass Asher nicht an seinem Tisch saß. Charlotte schien keine Ahnungzu haben, was sich zwischen uns abgespielt hatte. Zumindest nahm sie keine Notiz von mir, während sie im Kreis einer Gruppe von Mädchen in schicken Klamotten Hof hielt. Wären wir in New York gewesen, hätte ich sie für Groupies aus einer Privatschule in der Fifth Avenue gehalten. Die Blackwells – oder besser gesagt, der Reichtum der Blackwells – zog sie an wie Starbucks-Yuppie-Mamis aus der Vorstadt.
Wie Lucy schon gesagt hatte, wurde die Blackwell Falls High School von Cliquen beherrscht, und wenn eine Stadt, von einer Schule ganz zu schweigen, deinen Namen trug, stieg deine Popularität ums Zehnfache. Dass Asher Mittelfeldspieler in unserem Hockeyteam war, tat ein Übriges. Durch die Tratschgeschichten der anderen wusste ich, dass Charlotte nun das zweite Jahr auf die Highschool ging und jünger war als ich. Mit ihren 16 Jahren hatte sie das Selbstvertrauen, das uns anderen abging, und für mich war es unvorstellbar, dass sie sich mit Pickeln oder Gewichtsproblemen herumschlug.
Da Asher nicht da war, entspannte ich mich und lauschte den Abendplänen von Lucys Freunden. Die Temperaturen waren derart gesunken, dass der Wasserfall der Stadt zu Eis gefroren war. Etliche Schüler hatten beschlossen, eine Besichtigungstour dorthin zu machen, und im Nu hatte sich daraus ein Spontanevent entwickelt.
Susan fragte, ob ich mitkäme, und Lucy versuchte, mich herumzukriegen: »Ach komm, Remy. Gehen wir mit. Das wird bestimmt lustig!«
Ich erwiderte ihr Lächeln. Sie war wirklich durch und durch nett, und zu Hause bekam ich so langsam einen Budenkoller. »Klar, klingt nach Spaß!«
Als mich Lucy an diesem Abend schminkte, vollbrachte sie wahre Wunder, allerdings hatte sie es diesmal auch schon leichter, weil meine Blutergüsse zu einem blassen Gelb verblichen waren. Ich hatte da ein wenig nachgeholfen, weil ich die Phase mit dem scheußlichen Grünton unbedingt überspringen wollte.
Die letzte noch gebrochene Rippe musste auch nicht mehr verbunden werden, weil ich sie tags zuvor geheilt hatte. Meine Stimme blieb allerdings trotz all meiner Bemühungen rau. Was immer Dean gemacht hatte, der Schaden schien von Dauer. Da ich aber keine Gesangskarriere anstrebte und mir der Hals auch nicht länger wehtat, beschloss ich, mir deswegen keinen Stress zu machen.
Später ging ich lachend mit Lucy die Treppe hinunter zu Brandon, der uns mit dem Auto mitnahm. Ben und Laura grinsten uns an, und ich wünschte, es hätte mir nicht so gefallen, dass wir das Bild einer glücklichen Familie abgaben.
Brandon hatte Greg und Susan bereits vor uns abgeholt. Wir fuhren los und waren allerbester Laune. Als wir am Waldrand einen steilen Felsen erreicht hatten, drängten wir aus Brandons Kleintransporter und folgten einem ausgetretenen Pfad einen Hügel hinab hin zu dem lauten Gegröle von ungefähr 60 Kids in Feierlaune.
Jemand hatte Berge
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