Touched
dir doch gesagt, dass ich dich nicht hören kann, wenn dein Schutzwall oben ist.«
Ich grinste erleichtert. »Wollt’s nur mal testen.«
Wir erreichten einen umgestürzten Baum, der während eines Sturms an Land gespült worden war. Ich setzte mich und klopfte auf den Platz neben mir, und Asher nahm mit all der Anmut, an die ich mich inzwischen gewöhnt hatte, Platz. Mit einem abwägenden Glitzern in den Augen blickte er auf meine Hand auf dem Stamm neben seinem Bein, und ich erinnerte mich, was er am Tag zuvor gesagt hatte – am besten hörte er meine Gedanken, wenn wir uns berührten.
Schnaubend rutschte ich aus seiner Reichweite. »Okay, stellen wir doch mal was klar! Du magst ja aufgrund irgendeines verrückten Beschützer-Heilerinnen-Bunds, über den wir beide keine Kontrolle haben, imstande sein, meine Gedanken zu lesen, aber das heißt nicht, dass du einen Freibrief dafür hast, es zu tun, wann immer es dir gefällt. Freien Zutritt gibt’s nur auf Einladung, okay?« Ich beschrieb mit beiden Armen einen Kreis um meinen Kopf.
Kein bisschen beschämt, dass er erwischt worden war, setzte sich Asher in meine Richtung rittlings auf den Stamm. »Das ist nur fair. Ich versuche mein Bestes, mich daran zu halten, außer natürlich, ich habe den Eindruck, es wäre zu deinem Besten, es nicht zu tun.«
Wenn er etwas wollte, schien er mühelos Schlupflöcher zu finden. In seiner Nähe musste man ständig auf der Hut sein. »Und was wäre dann zum Beispiel nicht zu meinem Besten?«
»Dein Recht auf Privatsphäre muss sich deiner Sicherheitunterordnen. Sollte ich merken, dass du in Gefahr bist, würde ich ohne Zögern tun, was ich für nötig halte.«
Ich betrachtete seine wohlgeformten Gesichtszüge und erschauerte. Mit dem Dreitagebart, seinen hohlen Wangen und dem markanten Kinn sah er fast schon gefährlich aus.
»Ich habe dich gewarnt, Remy. Ich werde dich beschützen!«
Sein Blick blieb eisern. Dabei brauchte ich ihn gar nicht: Ich konnte mich selbst beschützen! Ich ließ meine Mauern hinunter, damit er meine Gedanken hören konnte: Arroganter Sturkopf!
»Ach, komm. Sei nicht sauer. Lass uns Frieden schließen.«
Er streckte mir eine kräftige Hand entgegen und schmunzelte, als ich sie ignorierte. Eigentlich hätte ich nicht darauf reinfallen sollen, aber es fiel mir schwer, nicht zurückzulächeln.
»Asher, meine Mutter hat meine Energie als Gift für deine Artgenossen bezeichnet. Wieso solltest du das Risiko eingehen und mich berühren wollen? Wieso sollte überhaupt irgendein Beschützer das riskieren? Das kann die Schmerzen doch nicht wert sein!« Ich schüttelte den Kopf, versuchte, ihn zu verstehen. Zähneklappernd mummelte ich mich in meinen Mantel.
Asher riss sich nahezu seinen Mantel vom Leib, legte ihn mir um die Schultern und zog das Revers unter meinem Kinn zusammen. Ihn störte der kalte Wind überhaupt nicht.
»Für die anderen kann ich nicht antworten, aber was mich angeht … Du weißt, dass ich nach dem Krieg einige meiner Empfindungen verloren habe. Die anderen allerdings … die wurden gestärkt. Wir glauben, sie entwickelten sich, um den Mangel an Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinn wettzumachen, wie bei einem Blinden etwa, der ausgezeichnet hören kann.«
»Um wie viel mehr entwickelt? Sprechen wir von optimaler Sehschärfe oder einem Röntgenblick?«
Asher warf mir einen unsichereren Blick zu, um zu sehen, ob ich scherzte, und lächelte irritiert. »Irgendwas dazwischen, nehme ich an. Ich brauche kein Licht, um im Dunkeln zu sehen, und ich kann meilenweit entfernte Geräusche hören, wo du schon drei Meter weit weg deine Probleme hättest.«
Ich stieß einen Pfiff aus. »Nicht schlecht! Wie sieht’s mit dem Essen aus? In der Cafeteria sieht’s immer so aus, als hättest du einen Mordshunger.«
»Ja, das stimmt. Mein Körper unterscheidet sich nicht so sehr von einem menschlichen. Wir brauchen auch Nährstoffe. Eigentlich sogar mehr, weil wir mit 210-prozentiger Leistung arbeiten, wie du schon vermutet hast. Wir schmecken nur schlicht und einfach nichts davon.«
»Wie schrecklich!«
Er schnitt eine Grimasse. »Am besten ließe es sich noch mit Schlafwandeln vergleichen. In meinem alten Leben gab es so viele Dinge, die ich für selbstverständlich gehalten habe. Ich möchte Dinge riechen, schmecken, ich möchte sie fühlen! Das ist ein Grund, wieso mich die Schmerzen nicht stören, wenn ich dich berühre. Schmerzen zu fühlen! Remy, für jemanden, der über hundert Jahre
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