Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre
klaubte. Ich wurde in einen Kartoffelsack gewickelt und in den alten Armeemantel meiner Mutter geschoben. Sie arbeitete bis zum Einbruch der Dunkelheit, erst nachdem sie meinem Vater das Abendessen gekocht und die Frettchenkäfige gereinigt hatte, durfte sie sich hinsetzen.
Die ersten Worte meines Vaters bei meinem Anblick waren: »Ein scheiß Mädchen hilft mir nicht weiter. Ich wollte einen Burschen mit kräftigen Armen, der einen vollen Sack Kartoffeln hinten auf einen verdammten Karren schmeißen kann, nicht so eine Flasche wie das da. Leg den Wurm da drüben in den Graben, sollen die Krähen ihn holen.«
Zum Glück für mich betrank mein Vater sich bis zur Besinnungslosigkeit mit Steckrübenwein und hatte am nächsten Morgen seine Weisung vergessen. Er weigerte sich, mich anzuerkennen oder meine Geburt zu melden, und nannte mich niemals anders als »Flasche«.
Das ist erstunken und erlogen. Ich habe die Geburtsurkunde meiner Mutter gesehen, sie wurde im Kreiskrankenhaus von Burnham Market geboren und erhielt den Namen Pauline Hilda Sugden. Ihr Vater ist ein schüchterner Mann, der nie auch nur die Stimme erhob. Und ihre Mutter war nicht schön. In unserer Familie kursiert die Geschichte, dass Oma Sugdens Gesicht einmal die Pferde bei einem örtlichen Reiterfest so erschreckte, dass man sie bat zu gehen.
Donnerstag, 9. August
Fand Daisy in heller Aufregung vor, als ich von der Arbeit nach Hause kam: glänzende Augen, rosige Wangen, frisch aufgetragener dunkler Lippenstift und ein intensiver Geruch nach Lovely von Sarah Jessica Parker und Jim Beam.
Sobald ich den Schlüssel ins Schloss steckte, riss sie die Tür von innen auf und sagte: »Rate mal, wer nebenan ist?«
Ich sagte Daisy zwar nichts, aber mein allererster Gedanke war, dass mein lieber jüngerer Sohn William aus Nigeria zurückgekehrt sei, wo er bei seiner Mutter und deren neuem Mann lebt. Ich spreche nie über William – das Thema ist zu schmerzhaft.
»Glenn ist doch wohl nicht aus Afghanistan zurück?«, fragte ich stattdessen.
Sie schüttelte den Kopf. Ein paar Haarsträhnen lösten sich aus ihrer Amy-Winehouse-Frisur.
»Dein Bruder!«, rief sie.
Ich zog meine Hosenklammern ab und legte sie auf das Tischchen im Flur. »Halbbruder«, korrigierte ich. »Wir haben nur den Vater gemeinsam.«
»Ja, Brett Mole. Ach, Aidy, er ist toll! Man käme nie auf die Idee, dass ihr beide verwandt seid. Du hast mir gar nicht erzählt, dass er in Oxford war.«
Ich fragte, wo Gracie sei.
»Sie ist nebenan bei ihrem Onkel Brett. Er kann ganz wunderbar mit Kindern umgehen.«
»Was führt ihn hierher?«, wollte ich wissen.
»Seine Mutter. Ich weiß nicht, wie sie heißt«, antwortete Daisy.
»Bohnenstange«, sagte ich. »Auch bekannt als Doreen Slater.«
»Also jedenfalls ist sie tot. Gestern gestorben. Brett wollte es deinem Vater persönlich sagen. Er ist so rücksichtsvoll.«
»Bohnenstange tot?« Ich war geschockt. »An Magersucht?«
»Motorradunfall«, sagte Daisy.
»Was hat sie denn auf einem Motorrad gemacht?«
»Laut Brett war sie in schlechte Gesellschaft geraten.«
»Sie muss mindestens sechzig gewesen sein. Mit sechzig gerät man nicht mehr in schlechte Gesellschaft.«
»Doch, wenn es das Bournemouther Charter der Hells Angels ist, schon«, gab Daisy zurück. Sie warf einen prüfenden Blick in den Spiegel, lächelte kurz und ging nach nebenan.
Ich setzte mich aufs Bett und bemühte mich, meine Atmung in den Griff zu bekommen. Immer wenn ich an Brett Mole denke, überkommt mich ein Gefühl von Unzulänglichkeit. Ich erinnere mich noch an diesen furchtbaren Tag in Skegness, als mein Vater meiner Mutter mitteilte, dass er eine Affäre mit Doreen Slater gehabt und sie gerade Brett auf die Welt gebracht habe. Brett ist größer als ich, sieht besser aus, hat eine höhere Schulbildung, ist ein Sportler par excellence, und er macht etwas Mysteriöses mit Hedgefonds (was auch immer das sein mag) in London, Tokio und New York, wodurch er irrsinnig reich geworden ist.
Meine Mutter erzählt mir immer wieder von dem Bungalow, den Brett für Bohnenstange gekauft hat. Angeblich muss te Doreen nur ein paar Knöpfe drücken, und das Licht ging an, die Vorhänge schlossen sich, und in jedem Raum lief Musik.
Dann pflegte meine Mutter zu seufzen und zu sagen: »Ach, ich wünschte …« Sie hat den Satz nie beendet, aber ich weiß, dass sie sich wünschte, ich hätte ihr auch so ein Knopfdruckhaus gekauft.
Ich wusch mich gründlich, zog meine
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