Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre
Als sie mich überholte, sah ich, dass der gesamte Rücksitz voller Supermarkttüten mit Lebensmitteln lag. Etwas mühsam rutschte sie auf den Beifahrersitz und öffnete die Tür. Und dann, als ich mich in den Wagen beugte, zog sie meinen Kopf nach unten und küsste mich auf die Lippen. Als ich mich ihrem Griff entzogen hatte, sagte sie: » Bitte packen Sie Ihr Fahrrad in den Kofferraum. Ich muss mit Ihnen sprechen.«
Es dauerte ewig, mein Fahrrad auseinanderzunehmen, und die ohnehin schon unangenehme und schwierige Aufgabe wurde vom Lärm der Schwerlaster noch verschlimmert, die durch den Regen gen Autobahn donnerten. Doch schließlich war alles im Kofferraum verstaut, ich setzte mich widerstrebend ins Auto, und Dr. Pearce fuhr zum Restaurant The Boat House in Barrow-upon-Soar.
Dort standen wir eine Zeit lang mit Blick auf den dunklen Fluss auf dem Parkplatz, während sie mir erzählte, dass ihr Mann, seit er letzte Woche aus Norwegen zurückgekehrt sei, sich ihr gegenüber sehr kalt verhalte. Nach einigen Tagen Schweigen hatte er schließlich gestanden, in Trondheim ein Hotelzimmer mit einer Geografin namens Celia geteilt zu haben. Sie sagte: »Ich war sehr überrascht, denn seit Imogens Geburt hat er nicht sonderlich viel Interesse an Sex gezeigt. Ich war ja so dumm.«
Im Gegenzug erzählte ich ihr von meiner Krankheit. Mir war sehr bewusst, dass ich fünfzig Kilometer von zu Hause entfernt und bereits eine Stunde zu spät war, aber angesichts ihrer sichtlichen Verzweiflung schaltete ich mein Handy aus, und wir gingen in den Pub und bestellten uns Hamburger mit Salat und Pommes.
Dr. Pearce suchte eine Flasche Rioja aus und sagte: »Im Sommer ist es hier wunderschön. Wir müssen mal herkom men, uns an den Fluss setzen und ein Picknick machen, Adrian.«
Das beunruhigte mich zutiefst. Bildete sie sich etwa ein, unsere Beziehung würde sich ins Jahr 2008 fortsetzen?
Hinterher setzte sie mich vor unserer Auffahrt ab und raste davon, um ihre Kinder zu füttern. Blöderweise spa zierten Daisy und Gracie gerade vom Dorf zurück und ertappten mich dabei, wie ich mein Fahrrad wieder zusammenbaute.
»Warum ist dein Fahrrad kaputt, Dad?«, fragte Gracie.
»Es ist plötzlich auseinandergefallen.«
Selbst in meinen eigenen Ohren klang das nach einer faulen Ausrede, und als Daisy bemerkte: »Du hast getrunken«, log ich gleich noch einmal und behauptete, ich sei auf ein Glas Wein in einen Pub in der Stadt gegangen.
»Niemand geht auf ein Glas Wein in eine Kneipe, Adrian«, sagte sie. »Man geht auf ein schnelles Bier.«
In der stockdunklen Nacht von Mangold Parva war es mir unmöglich, mein Fahrrad zusammenzusetzen, also trug ich den Rahmen und ein Rad, Daisy das andere Rad und Gracie die Pedale zurück zum Schweinestall. Ich wusste nicht, auf wen ich wütender sein sollte – auf Dr. Pearce, weil sie mich durch Manipulation zu einem geheimen Stelldichein angestiftet hatte, oder auf mich selbst, weil ich aus Feigheit mitgemacht hatte.
Sonntag, 4. November
Habe einen deprimierenden Vormittag damit verbracht, am Küchentisch mein Testament aufzusetzen. Festzustellen, dass ich in neununddreißig Lebensjahren nichts von irgendeinem Wert angehäuft hatte, war niederschmetternd. Abgesehen von meinen Büchern und Manuskripten, ein paar Kleidungsstücken und Schuhen und meinen Sabatier-Messern besitze ich praktisch nichts. Mein Konto ist überzogen, und selbst mein Fahrrad ist in seine Einzelteile zerlegt. Und laut einem Immobilienmakler, dem meine Mutter kürzlich eine Schätzung entlockt hat, ist der Wert beider Schweineställe inzwischen unter die Summe der Resthypothek gefallen. Früher hatte ich einmal eine Lebensversicherung, aber Brett hat mich überredet, sie mir auszahlen zu lassen und 23 000 £ auf einem hochverzinslichen Konto bei einer isländischen Bank anzulegen, auf das ich mindestens sieben Jahre lang keinen Zugriff habe.
Brett sagte damals: »Das ist so sicher wie Immobilien, Adrian. Selbst Kommunalbehörden und Gemeinden haben sich die absurd hohen Zinssätze zunutze gemacht.« Es ist toll, einen Halbbruder zu haben, der gleichzeitig ein Finanzexperte ist.
Mir fiel ein, dass ich die Sterbegeldversicherung, in die meine Eltern seit meiner Geburt einzahlten, in meiner »Wichtige Dokumente«-Schachtel aufbewahrte, die oben auf dem Schlafzimmerschrank hinter den Koffern versteckt lag. Also ging ich in den Schuppen und musste monatelang angesammelten Müll beiseiteräumen, um an die Trittleiter zu kommen.
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