Toxin
sich so. Sie sagt mir nicht Bescheid. Dabei habe ich ihr ausdrücklich erklärt, daß sie nicht die Spülung ziehen soll, wenn sie auf der Toilette war. Aber sie tut es trotzdem. Was soll man da machen?« Kim beschloß, später mit Dr. Stevens und auch mit Becky über dieses Problem zu sprechen. Es war wichtig zu wissen, ob sie nur ein paar Tropfen Blut ausschied oder ob es mehr war. »Sind Sie der Spezialist, der Becky heute untersuchen soll?« fragte Janet.
»Nein«, erwiderte Kim. »Ich bin Dr. Reggis, Beckys Vater.«
»Ach, du meine Güte!« rief Janet. »Und ich dachte, Sie wären der Facharzt. Ich hoffe, ich habe nichts Falsches gesagt.«
»Nein, ganz und gar nicht«, entgegnete Kim. »Ich habe den Eindruck, daß Sie sich sehr um meine Tochter bemühen.«
»Tue ich auch«, erklärte Janet. »Ich liebe Kinder. Deshalb arbeite ich ja auf dieser Station.«
Kim verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zu seinen stationären Patienten. Danach nahm er an verschiedenen Krankenhauskonferenzen teil. Genau wie montags mußte er auch mittwochs immer allen möglichen Verwaltungsverpflichtungen nachkommen. So war es bereits kurz vor zehn, als er erneut Beckys Station aufsuchte. Dort angelangt informierte ihn die Stationssekretärin, daß Becky gerade zum Röntgen gebracht worden war. Außerdem erfuhr er, daß Tracy bereits da war und Becky begleitete.
»Wissen Sie etwas über den Gastroenterologen, der hinzugezogen werden soll?« fragte Kim. »Er ist bestellt«, erwiderte die Sekretärin. »Falls Sie das meinen.«
»Wissen Sie auch, wann er kommt?« hakte Kim nach. »Irgendwann heute nachmittag, glaube ich«, erwiderte die Sekretärin.
»Könnten Sie mir vielleicht Bescheid geben, wenn er da ist?« bat Kim und reichte der Sekretärin eine seiner Visitenkarten.
»Gerne«, entgegnete sie.
Kim bedankte sich und eilte in seine Praxis. Lieber hätte er Becky besucht und wenigstens kurz mit ihr gesprochen, doch er hatte keine Zeit mehr, denn er war schon wieder mit seinem Terminplan in Verzug. Da ihm das dauernd passierte, ließ er sich dadurch jedoch nicht aus der Ruhe bringen.
»Gut, Mr. Amendola«, sagte Kim. »Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
Mr. Amendola war ein sechzigjähriger Klempner. Er war ziemlich dick, und die moderne Medizin flößte ihm Angst ein. Deshalb traf ihn Kims Urteil ins Mark: Eine seiner Herzklappen mußte ersetzt werden. Vor ein paar Wochen war er noch herrlich ahnungslos gewesen und hatte nicht einmal gewußt, daß er überhaupt Herzklappen besaß. Nachdem er dann ein paar beängstigende Symptome gespürt hatte, wußte er jetzt, daß eine der Klappen so schlecht funktionierte, daß sie ihn das Leben kosten konnte.
Während Mr. Amendola nachdachte, fuhr Kim sich nervös mit der Hand durchs Haar und ließ seinen Blick durch das Fenster in die Ferne schweifen. Der Himmel war winterlich trüb. Seit Tracys Anruf vor einer Stunde machte er sich große Sorgen. Sie hatte ihm erzählt, daß Becky ihrer Meinung nach überhaupt nicht gut aussehe; sie habe glasige Augen und wirke völlig apathisch.
Da sein Wartezimmer überfüllt gewesen war, hatte er Tracy geraten, Dr. Stevens rufen zu lassen und sie über Beckys Veränderung zu informieren. Außerdem hatte er Tracy gebeten, die Stationssekretärin daran zu erinnern, ihn bei Eintreffen des Gastroenterologen sofort anzurufen. »Vielleicht sollte ich erst einmal mit meinen Kindern darüber reden«, sagte Mr. Amendola.
»Wie bitte?« entgegnete Kim. Er hatte vergessen, was er den Mann gefragt hatte.
»Ich sagte, daß ich vielleicht meine Kinder fragen sollte, was sie ihrem alten Dad raten«, wiederholte Mr. Amendola. »Eine gute Idee«, entgegnete Kim und stand auf. »Reden Sie erst mit Ihrer Familie. Und wenn Sie noch Fragen haben, rufen Sie mich an.«
Er führte seinen Patienten zur Tür.
»Und Sie glauben wirklich, daß das Untersuchungsergebnis stimmt?« fragte Mr. Amendola. »Vielleicht ist meine Herzklappe ja doch nicht so schlecht.«
»Sie ist schlecht. Wir haben sogar ein Gegengutachten eingeholt, erinnern Sie sich?«
»Ja«, erwiderte Mr. Amendola resigniert. »Okay, ich melde mich dann.«
Kim wartete auf dem Flur, bis er sicher war, daß Mr. Amendola zur Rezeption ging. Dann nahm er die schwere Akte des nächsten Patienten aus der an der Tür zum zweiten Untersuchungsraum angebrachten Halterung.
Noch bevor er den Namen gelesen hatte, erschien Ginger am Ende des Flurs. Sie trat zur Seite, damit Mr. Amendola an ihr vorbei
Weitere Kostenlose Bücher