Toxin
sich entsetzt mit der Hand vor die Stirn. »Moment mal! Sie haben doch gerade bestätigt, daß auch Ihre vorläufige Diagnose bakterielle Lebensmittelvergiftung war. Warum haben Sie dann keine Kultur angelegt? Das ist doch der erste Schritt. Wie wollen Sie denn sonst eine vernünftige Behandlung einleiten?«
»Die Vorschriften von AmeriCare verbieten in einem solchen Fall das routinemäßige Anlegen von Kulturen«, erklärte Dr. Washington. »Es ist nicht rentabel.«
Kim wurde rot vor Wut, doch nur Tracy fiel die Veränderung auf. Sie griff nach seinem Arm, doch er riß sich los. »Rentabel? So eine hirnverbrannte Entschuldigung habe ich noch nie gehört! Was für einen katastrophalen Laden leiten Sie hier eigentlich? Sie wollen mir wirklich erzählen, daß Sie keine Kultur angelegt haben, um ein paar beschissene Dollars zu sparen?«
»Jetzt hören Sie mir mal zu, Sie Wichtigtuer!« ereiferte sich nun auch Dr. Washington. »Wie ich Ihnen gerade erklärt habe, werden Kulturen bei uns nicht routinemäßig angelegt. Nicht für Sie, und auch nicht für sonst irgend jemanden.« Wie am Abend zuvor verlor Kim jetzt endgültig die Beherrschung. Er packte Dr. Washington am Kragen seines weißen Kittels. »Einen Wichtigtuer nennen Sie mich? Durch Ihr idiotisches Festhalten an einer Vorschrift haben wir einen ganzen Tag verloren!«
Tracy stürzte sich auf Kim und zerrte an seinem Arm. »Nein, Kim! Nicht schon wieder!«
»Lassen Sie mich sofort los, Sie arroganter Fatzke!« fuhr Dr. Washington ihn an.
»Beruhigen Sie sich doch!« schaltete sich Dr. Faraday ein und drängte sich zwischen die beiden erheblich größeren Kollegen. »Ist doch kein Problem. Wir legen die Kultur jetzt an. So viel Zeit haben wir auch nicht verloren. Ich rate ohnehin davon ab, ihr Medikamente zu geben.«
Kim ließ Dr. Washington los, der sich als erstes seinen Kittel glattstrich. Die beiden Männer warfen sich finstere Blicke zu. »Was glauben Sie denn in der Kultur zu entdecken?« fragte Tracy in der Hoffnung, die Situation durch ihre Frage ein wenig zu entspannen und die Unterhaltung wieder in die geordnete Bahn zu lenken. »Was für Bakterien könnten die Vergiftung Ihrer Meinung nach hervorgerufen haben?«
»Salmonellen, Shigellen oder auch neuere Stämme von E. coli«, erwiderte Dr. Faraday. »Aber es könnten auch jede Menge andere Bakterien in Frage kommen.«
»Das Blut hat mir einen riesigen Schrecken eingejagt«, erklärte Tracy. »Wahrscheinlich sah es nach mehr aus, als es in Wirklichkeit war. Soll Becky im Krankenhaus bleiben?« Dr. Faraday sah Dr. Washington an. »Keine schlechte Idee. Aber das kann ich nicht entscheiden.«
»Ich glaube, wir sollten sie hierbehalten«, sagte Dr. Washington. »Sie braucht Flüssigkeit. Außerdem können wir so die Möglichkeit einer Anämie im Auge behalten und sicherstellen, daß sie keine weiteren Blutungen hat.«
»Wie sieht es mit Antibiotika aus?« fragte Tracy. »Ich würde sagen, wir geben ihr nichts«, erwiderte Dr. Faraday. »Jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Wir sollten unbedingt erst die definitive Diagnose abwarten.«
»Genau deshalb hätte die verdammte Kultur schon gestern abend angelegt werden müssen!« ereiferte sich Kim erneut. »Bitte, Kim«, drängte Tracy. »Es ist nun mal so, wie es ist. Damit müssen wir uns für den Augenblick abfinden. Ich fände es schön, wenn du dich bemühen würdest, ein bißchen kooperativer zu sein.«
»Ist ja schon gut«, resignierte Kim. »Wäre es denn nicht trotzdem sinnvoll, ihr ein Breitband-Antibiotikum zu geben - da wir nun schon keine Kultur haben. Wenn wir den bakteriellen Organismus und seine Sensitivitäten kennen, können wir doch immer noch zu einem anderen Mittel wechseln.«
»Ich würde davon abraten«, wiederholte Dr. Faraday. »Falls es sich bei dem Erreger nämlich um einen der aberrierenden Stämme von E. coli handelt, können Antibiotika die Situation noch verschlimmern.«
»Wieso das denn?« fragte Kim. »Das ist doch absurd.«
»Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte Dr. Faraday. »Antibiotika können die gesunde Darmflora dezimieren und den renitenten Kolibakterien dadurch zusätzlichen Raum zum Gedeihen verschaffen.«
»Sind Sie persönlich für Becky zuständig, wenn sie eingewiesen wird?« wandte sich Tracy an Dr. Faraday. »Nein«, erwiderte er. »Das ist leider nicht möglich. AmeriCare läßt nur Vertragsärzte zu. Aber ich bin gerne bereit, nach Ihrer Tochter zu sehen, insbesondere, wenn der behandelnde
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