Tränen aus Gold
Tage leichtfüßig dahin. Die heftigen Stürme draußen taten der Behaglichkeit und Zufriedenheit der Bewohner keinen Abbruch. Der köstliche Duft von Dietrichs Kochkunst durchdrang den Haupttrakt, während Geräusche munteren Treibens und Gelächter die Burg mit Leben erfüllten. Obschon alle wußten, daß ein entscheidender Kampf bevorstand, war es eine Zeit unbeschwerter Harmonie und Geselligkeit.
Niemand bezweifelte, daß Hillert bald anrücken würde. Verteidigungstaktiken wurden ausgedacht, Armbrüste geölt, Schwerter und Dolche geschliffen. Solange die kalte Witterung anhielt, kämpften die Männer miteinander in der Halle, die von stählernem Klirren und lauten Ausrufen widerhallte, während die Kämpfenden mit großer Geschicklichkeit dem Kriegsspiel frönten. Elises Anwesenheit ermutigte die Männer zu allerlei Possen, wobei besonders die jüngeren darauf bedacht waren, Elises Lob zu erringen. Maxim fand nichts dabei, daß Justin und Sherbourne sich vor ihr einen hitzigen Zweikampf lieferten, da er sich Elises Liebe gewiß sein konnte.
In den ruhigeren Abendstunden zogen sich die Männer meist in einen Winkel der Halle zurück und arbeiteten ihre Verteidigungsstrategie aus, wobei sie darauf achteten, daß sie von Frau Hanz nicht belauscht wurden. Elise zog sich gewöhnlich in ihr Schlafgemach zurück und erwartete dort ihren Gemahl. Zuweilen drang ihr Summen durch die Räume, während sie ihre Nähkünste an einem Wandbehang erprobte oder die Kleider der Männer ausbesserte.
Als die peitschenden Winde und die starken Schneefälle endlich nachließen, schaufelten die Männer Wege durch die hohen Schneewehen und verschafften sich Zugang zum Burgwall, zu den Stallungen und den Ruinen der Wirtschaftsgebäude und Lagerschuppen. Sie durchsuchten das alte Gerümpel nach Rohmaterial, das sie zur Herstellung neuer Waffen brauchten. Sie rissen alte Holzteile aus den Bauten und häuften sie an geschützten, trockenen Stellen aufeinander. Kleine Eisenstücke wurden in Fässern gesammelt und neben Behältern mit Schwarzpulver gelagert. Aus versiegelten Krügen, die sie im Keller des Vorratshauses fanden, wurde Talg in große Eisenkessel gegeben, die in der Mitte des Hofes standen. Diese Kessel hingen an Eisenrahmen. Darunter entfachte man riesige Feuer, bis das Fett geschmolzen war. Nach der Abkühlung wurden die Kessel zugedeckt, um sie vor Feuchtigkeit zu schützen und am nächsten Tag den Vorgang zu wiederholen. Spence, der sich im Stall als Schmied betätigte, fertigte Lanzenspitzen, Pfeile und schwere Bolzen für Armbrüste an.
In all ihren mädchenhaften Träumen von Liebe hätte Elise sich nie vorzustellen gewagt, daß es auf einer abgelegenen Burg mitten im Winter einen sicheren Hort geradezu überirdischen Glücks geben könnte. Manchen Abend saß sie, in Maxims Arme geschmiegt, vor dem prasselnden Kaminfeuer. In dicke Felle gewickelt, plauderten sie stundenlang, bis das Feuer heruntergebrannt war; im Bett verbrachten sie Nächte, die die Phantasien eines unschuldigen Mädchens weit hinter sich ließen…
Zweimal zwei Wochen vergingen, und die Burg blieb von äußeren Einflüssen unbehelligt. In der eisigen, weißen Welt jenseits der Tore herrschte Stille, als hielten das Land und die Leute aus Angst vor dem zu erwartenden Sturm den Atem an. Zuweilen bewegte ein Windstoß die Äste der Bäume und schüttelte Schnee ab, der im Sonnenlicht glitzernd herunterstäubte. Vögel flatterten in den Wipfeln. Ein Eichhörnchen saß in der Gabelung zweier Äste, während darunter ein einsamer Hirsch der dunklen Spur des Rinnsals zustrebte, das das erste Auftauen des Flusses ankündigte.
Die allmählich höher steigende Sonne wärmte die Tage, und die Winterkälte nahm merklich ab. Maxim hatte kräftig Holz nachgelegt, ehe das heiße Badewasser heraufgebracht worden war und sie ein gemeinsames Bad genommen hatten. Und nun war er gegangen, angeblich um seinem Pferd Bewegung zu verschaffen. Elise schauderte. Sie wußte nur zu gut, daß von nun an das Gebiet sorgsam überwacht werden mußte.
Ein lang gezogener, nachdenklicher Seufzer entrang sich ihr, als sie sich in der Wanne zurücksinken ließ und an die Ereignisse der vergangenen Monate dachte. Seit sie England verlassen hatte, hatte sich so viel verändert! Nun schwelgte sie in der Übermacht einer Liebe, die ihr Herz zum Überfließen brachte. Maxim zeigte sich als liebevoller, verständnisvoller und zärtlicher Ehemann, der darüber hinaus über Leidenschaft und
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