Tränen aus Gold
»Diese Kette hatte meine Mutter bei sich, als sie von den Stamfords als kleines Kind gefunden wurde.«
Elizabeth winkte Elise heran, und als das Mädchen der Aufforderung nachkam, streckte die Königin die Hand aus und hob das juwelenbesetzte Emaillemedaillon an, um es aus der Nähe zu betrachten. Dann wandte sie sich zur Seite und rief Blanche Parry herein. Erst als sie vor der Königin stand, merkte Elise, daß die alte Dame fast blind war.
»Ist die verwitwete Countess von Rutherford zur Zeit bei Hofe?« fragte Elizabeth sie.
»Nein, Majestät«, erwiderte die alte Frau leise.
Elizabeth faltete die Hände im Schoß. »Dann weise Lord Burghley an, er solle Anne benachrichtigen. Sicher interessiert es sie sehr, daß sie eine Urenkelin hat, die im Haus Sir Ramseys lebt.«
»Die Countess von Rutherford?« Elises Gedanken überstürzten sich, als die Königin nickte. »Aber wie ist das möglich?«
»Annes Tochter und Enkelin – letztere unzweifelhaft Eure Mutter – wurden entführt, und man verlangte Lösegeld für sie. Anne Rutherford zahlte die verlangte Summe, und kurz darauf hatte sie ihre Tochter wieder… leider ohne ihr Kind. Die beiden waren getrennt worden, und die Frau, die das kleine Mädchen hätte hüten sollen, starb, ohne sagen zu können, wohin sie es gebracht hatte. Sie konnte nur noch sagen, daß das Kind aufgrund des Halsbandes, das die Mutter bei der Entführung trug, identifiziert werden könnte. Einige Jahre darauf starb die Mutter des Kindes an den Pocken und überließ es der Countess von Rutherford, nach ihrem Enkelkind zu suchen. Das alles liegt nun schon viele Jahre zurück. Ich glaube, daß Ihr die Tochter des verschwundenen Mädchens seid.« Elizabeth deutete auf das Halsband. »Das Emaillemedaillon wurde nach einem Porträt der Countess gemalt, das in ihrem Haus hängt. Ich habe es selbst gesehen und kann bestätigen, daß die Miniatur direkt nach dem Original kopiert wurde. Ich werde dafür sorgen, daß die Countess von Rutherford Euch so bald als möglich besucht. Sie ist so alt wie meine Blanche, besitzt aber ein gutes und standhaftes Herz. Sicher wird sie kaum erwarten können, Euch kennen zu lernen. Da sie jetzt ohne jeden Anhang ist, seid Ihr für sie gewiß eine große Freude.«
»Ich werde mich freuen, meine Urgroßmutter kennen zu lernen.« Ein erhebendes Gefühl hatte Elise erfasst, weil sie nun vielleicht eine andere, liebevollere und besorgtere Angehörige kennenlernen würde als ihre bisherige Verwandtschaft.
Auf ein behutsames Pochen hin öffnete Blanche Parry die Tür und ließ einen hochgewachsenen, bärtigen, dunkelhaarigen Mann ein, der eilig vor die Königin hintrat und ihr mit einer Verbeugung dieEhre erwies, um ihr gleich etwas ins Ohr zu flüstern, während Elise taktvoll beiseite trat. Kaum hatte er sich wieder aufgerichtet, winkte Elizabeth das Mädchen zu sich heran und sagte zu dem Mann: »Sir Francis Walsingham, gewiß freut es Euch, Sir Ranisey Radbornes Tochter kennen zu lernen. Elise ist gekommen, um die Freilassung des Hansekapitäns zu erbitten, der festgenommen wurde.«
Sir Francis wandte sich mit besorgter Miene Elise zu. »Ich kannte Euren Vater persönlich…«
»Bitte, Sir Francis, ich glaube, daß er noch am Leben ist… zumindest gebe ich die Hoffnung nicht auf. Ich ertrage es nicht, wenn Ihr von ihm in der Vergangenheit sprecht.«
»Vergebt mir, mein Kind.« Er ging auf sie zu und faßte nach ihren Händen. »Seine lange Abwesenheit ließ mich an der Milde seiner Kerkermeister zweifeln. Haltet mich nicht für härter, als ich bin.«
»Sir Francis ist mein Erster Minister«, erklärte die Königin. »Er deckt gegen mein Leben gerichtete Verschwörungen auf… und seine Entdeckungen verwundern mich stets aufs neue. Euer Vater war einem Komplott in den Kontoren der Stilliards auf der Spur, bevor er entführt wurde.«
Elise war überrascht. »Und ich war der Meinung, er wollte dort seinen Besitz verkaufen.«
»Das war nur ein Vorwand, damit er die Kontore aufsuchen konnte«, erklärte Walsingham. »Auch ich habe von dem Schatz gehört, aber ich bezweifle ernsthaft, daß es ihn überhaupt gibt.« Sir Francis verschränkte die Hände im Rücken, ging an ein Fenster und schaute nachdenklich hinaus. »Jetzt erfuhr ich, daß es tatsächlich eine gegen die Königin gerichtete Verschwörung gab, die von den Stilliards ausging.« Er drehte sich zu Elise um und sagte unumwunden: »Deshalb muß ich Euch bitten, Euch nicht mehr für die Freilassung
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