Tränen aus Gold
jener Stelle zurück, wo sie zu Beginn ihrer Flucht in den Wald eingedrungen war. Ihre Füße flogen geradezu über den laubbedeckten Boden, und wieder glaubte sie ihre Freiheit vor sich. Da verfing sich ihre Schuhspitze in einer Ranke. Im Fall stieß sie einen Schrei aus, und ehe sie sich wieder gefaßt hatte, kamen Fitch und Spence mit Riesenschritten auf sie zugelaufen.
»Hände weg!« fuhr Elise die beiden an, als sie ihr auf die Beine helfen wollten. Sie staunte nicht schlecht, als sie gehorsam zurücktraten. Im Licht der Laterne zupfte sie nun trockene Blätter und Zweige aus dem Haar und schüttelte den Rock ihres Samtgewandes aus. Als sie ihre äußere Erscheinung wieder einigermaßen in Ordnung gebracht hatte, streckte sie Spence die Hand entgegen.
»Vorsicht, ich bin verletzt«, warnte sie ihn. Als er in seinem Eifer gegen ihren Knöchel stieß, schrie sie vor Schmerzen auf: »O mein Gott, mein Knöchel!«
»Mistreß, es tut mir wirklich leid«, entschuldigte sich Spence. Wieder bückte er sich, um sie hochzuheben, diesmal mit mehr Vorsicht.
Seine offensichtliche Besorgnis verwirrte Elise. »Ich möchte endlich wissen, was ihr vorhabt«, forderte sie mit Nachdruck. »Warum werde ich entführt? Haben euch die Radbornes gedungen? Haben sie euch Geld versprochen, wenn ihr mich ihnen ausliefert?«
Spence schüttelte verständnislos den Kopf.
»Nein, Mistreß. Wir kennen keine Radbornes.«
Seine Versicherung überzeugte Elise nicht. Für ihre Tante und deren Söhne war es ein leichtes, sich beim Anheuern von Helfershelfern falscher Namen zu bedienen. In jüngster Zeit hatte Elise es sich zur Gewohnheit gemacht, unter ihrem Reifrock ständig eine gefüllte Börse bei sich zu tragen, um für alle Umstände gerüstet zu sein. Ihre augenblickliche missliche Lage forderte den Einsatz dieses Geldes geradezu heraus, doch sollten die beiden nicht wissen, daß sie eine größere Summe bei sich hatte. Viel vorteilhafter war es, wenn sie die Entführer im Glauben ließ, die Belohnung erwarte sie im Haus ihres Onkels. »Wenn ihr mich zurück nach Bradbury Hall bringt, verspreche ich euch eine angemessene Summe für eure Mühe. Ich schwöre euch, sie wird höher sein als jene, die ihr von euren Auftraggebern zu erwarten habt. Bitte… ihr müßt mich zurückbringen… ich werde es euch reichlich lohnen.«
»Seine Lordschaft trug uns auf, Euch nach London zu schaffen, und das werden wir tun.«
»War es etwa Lord Forsworth?« lachte Elise verächtlich auf. »Ach, falls der euch angeheuert hat, dann laßt euch gesagt sein, daß er kein Lord ist und zudem arm wie eine Kirchenmaus.«
»Mistreß, sein Geld soll Euch nicht bekümmern. Das braucht Seine Lordschaft bei uns nicht. Wir hängen ihm so treu an wie Fische dem Wasser.« Spences treuherzige Antwort ließ erkennen, daß er sich von seiner Absicht nicht abbringen lassen würde. Fitch leuchtete mit der Laterne, während sein Gefährte Elise ans Ufer trug. Dann stellte Fitch die Laterne hin und faßte ins Schilfdickicht nach einem Tau, an dem er kräftig zog, bis ein Boot zum Vorschein kam. Sodann machte er sich eilig daran, im Heckteil ein weiches Lager zu bereiten und einige Felle auszubreiten. Darauf bettete Spence seine Gefangene.
Fitch ließ sich in der Mitte des Bootes nieder, stellte die Laterne neben sich und ergriff die Ruder. Mit kraftvollen Schlägen ruderte er aus dem Uferbereich in die Flussmitte, wo er ein Kielschwert ausbrachte und einen kleinen Mastbaum aufrichtete. Dann setzten die beiden Männer ein kleines dreieckiges Segel, und das Boot glitt flussabwärts dahin.
Die Laterne wurde gelöscht, und sie waren von Nacht umgeben. Elises Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit. Zu beiden Seiten konnte sie die dunkle Masse des Ufers erkennen. Die hohen Schatten des Segels und der Männer hoben sich vom quecksilbern schimmernden Fluss ab, während sich hinter ihnen das hellere Kielwasser in der Finsternis verlor. Elise zog die Felle enger um die Schultern und schlief ein ; sie konnte einigermaßen sicher sein, daß die zwei Entführer einen bestimmten Auftrag auszuführen hatten und weder Vergewaltigung noch Mord im Sinn hatten.
Ihr schien, als wären erst ein paar Augenblicke vergangen, als ein dumpfer Aufprall sie weckte. Sie sah nach oben, wo das Geäst eines großen Baumes ein luftiges Dach über ihrer kleinen schwimmenden Lagerstätte formte. Über den ausladenden Ästen jagten tiefhängende graue Wolken über den trüben Himmel, und heftige
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