Tränen aus Gold
zur Verschwiegenheit verpflichtet, und seinen Schwur wollte er halten, auch wenn er sich allmählich vorkam wie ein Unhold.
Am besten, er machte dem Mädchen ein warmes Plätzchen im Boot zurecht. Und das tat er denn auch und polsterte es mit Fellen aus. Die schönste Felldecke aber ließ er ihr als Zudecke gegen die kalte Nachtluft. Ihre nassen Sachen wurden ebenfalls in ein Fell gewickelt und im Boot verstaut, wenngleich es zweifelhaft war, ob sie je wieder Verwendung finden würden. Er half seiner Gefangenen ins Boot und deckte sie sorgfältig zu, denn es war eine kostbare Fracht, die man ihrer Obhut anvertraut hatte.
4
Über dem Fluss lag noch nächtliches Dunkel, als das Boot London erreichte. Aus einem unruhigen Schlaf hochgeschreckt, sah Elise auf beiden Ufern dunkle Türme und Bauwerke vorübergleiten. Das kleine Boot geriet ins Schwanken, als Fitch sich gegen das Steuerruder lehnte. Spence reffte das Segel und warf einen Blick zu seiner Gefangenen hin, die warm und behaglich auf ihrem Lager aus Fell ruhte. Er bemerkte das Aufleuchten in den Augen des Mädchens, als ihr Blick über das Ufer strich.
»Bleibt, wo Ihr seid, Mistreß. Seid still wie ein Mäuschen. Diese Stange« – er schlug auf den kurzen Mastbaum – »wird jetzt ein wenig gesenkt, also achtet auf Euren Kopf.«
Elise, die noch ganz verschlafen nickte, wich dem Mastbaum aus und sah zu, wie die zwei Männer ihre Rücken krümmten und sich in die Riemen legten, um, selbst nur schattenhaft sichtbar, von einem dunklen Schatten zum anderen zu rudern. Feine Dunstschleier wehten von den Nebenarmen und Haffwassern des Flusses her und hüllten das Boot ein, als sie sich in Ufernähe weiterbewegten. Man hörte nur das rhythmische Ächzen der Ruder in der geisterhaften Stille, während sie an Palästen, prunkvollen wie auch verfallenden, vorüberglitten. Die mit den Jahren verblichene Pracht des Savoy wurde von der Dunkelheit gnädig verhüllt, während Schönheit und Größe der Häuser Arundel und Leicester nicht zu übersehen waren. Jenseits des Middle und Inner Temple sanken die Uferbauten zu primitiven Holzhütten und schäbigen Lagerschuppen herab. Hier tauchten die Männer ihre Ruder ganz tief ein und verlangsamten die Fahrt, bis das Boot dumpf gegen einen Landungssteg stieß, von dem aus dürftige Holzstufen zum Wasser führten. Elise, deren Neugierde erwachte, richtete sich auf und wurde gleich von einer bösen Vorahnung erfasst, als sie sah, wo sie gelandet waren. Hinter dem Lagerhaus begann der Stadtteil, den sie auf der Suche nach ihrem Vater in der Verkleidung eines herumstreunenden Straßenjungen durchwandert hatte. Eigentlich verständlich, daß man sie hierher brachte, denn diese Gegend war als Schlupfwinkel für Diebe, Mörder, Vagabunden und Dirnen bekannt. Ein königlicher Erlass hatte dafür gesorgt, daß dieser Bezirk der Zuständigkeit der Gesetze und ihrer Hüter entzogen war. Folglich bot er ihren Entführern eine sichere Zuflucht. Hier befanden sie sich unter ihresgleichen.
Spence sprang hinaus auf den Steg und wickelte das Haltetau um einen hohen Pfahl. Fitch folgte ihm, drehte sich um und wollte Elise aus dem Boot heben, was diese ihm jedoch entschieden verwehrte. Im Moment blieb ihr zwar nichts übrig, als sich in ihr Los als Gefangene zu fügen, doch war sie entschlossen, es ihren Entführern nicht leichtzumachen.
»Ich schaffe es allein«, raunte sie, da ihr dieser Ort unheimlich war und sie vermeiden wollte, die Aufmerksamkeit noch üblerer Gesellen auf sich zu lenken, als es ihre Bewacher schon waren. Als Fitch auf seinem Ansinnen beharrte, zischte sie ihm wütend zu: »Ich lasse mich nicht rüde anfassen und an einen Ort schaffen, an dem ich nicht sein möchte. Im Moment bin ich in eurer Gewalt, so daß mir nichts übrig bleibt, als euch zu folgen!«
Fitch mußte sich geschlagen geben und damit begnügen, ihr die einzige Hilfe angedeihen zu lassen, die sie zuließ. Nach seiner sehnigen Hand fassend, raffte Elise ihre Röcke hoch und sprang auf den Steg, wobei sie ihren schmerzenden Knöchel möglichst zu schonen suchte. Spence behielt sie wachsam im Auge, während Fitch half, die Sachen aus dem Boot zu holen, doch seine Besorgnis war unbegründet. Elise hatte nicht die Absicht, sich ihrer Obhut zu entziehen, solange sie sich in dieser verrufenen Gegend aufhielten. Sie wäre nur vom Regen in die Traufe gekommen. In den dunklen Löchern dieses berüchtigten Viertels tummelten sich viel ärgere Spitzbuben als Spence
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