Tränen aus Gold
Windstöße zerrten an der Baumkrone. Die Windstöße nahmen an Heftigkeit zu, tobten durch die Wälder, fegten über den Fluss und wühlten seine Oberfläche auf. Von einer langen Seilschlinge gesichert, trieb das Boot übers Wasser, prallte gegen einen umgestürzten Baumstamm und schaukelte wieder zurück zum Uferschilfgürtel.
Die misstönenden Schnarchlaute ihrer Entführer durchschnitten die morgendliche Stille und riefen Elise ihre Situation in Erinnerung. Vorsichtig versuchte sie sich zu strecken, bis sich ihre schmerzenden Muskeln lockerten und sie sich aufrichten konnte. Ihr Blick fiel zunächst auf Fitch, der am Ufer unter einem Baum schlief. Gegen die feuchte Kälte seines Laubbettes schützte er sich mit einer Decke, während er seinen Wams als Kissen unter den Kopf gelegt hatte.
Ihr Blick fiel auf das Tau, das mit dem einen Ende am Bug des Bootes befestigt war. Das andere Ende war an einem überhängenden Ast festgebunden. In der Astgabel erspähte sie Spence. Auf ihn war offenbar die letzte Wache gefallen, und er hatte den Baum erklettert, damit er seine Gefangene von oben besser im Auge behalten konnte. Das lose Ende des Seiles hatte er einige Male um seinen Knöchel gewunden, um das Boot zusätzlich zu sichern, falls er einschlafen sollte. Sein Schnarchen stand dem seines am Boden liegenden Gefährten nicht nach.
Während Elise noch ihre Fluchtmöglichkeiten abwog, löste das Schicksal eine Kette von Ereignissen aus. Der Wind blies noch heftiger, und die Strömung trieb das Boot so weit hinaus auf den Fluss, daß der Ast unter der ungeheuren Spannung des Seils brach. Er fiel ins Wasser und gab die Schlinge frei. Sofort schoß das Boot hinaus zur Flussmitte, wo es von stärkerer Strömung erfasst wurde. Da Elise das Boot nur vorne belastete, drehte es sich wie ein Kreisel um die eigene Achse, so daß das Seil sich um die Ruderpinne verhedderte, sich straffte und Spence von seinem luftigen Sitz gerissen wurde. Alle viere von sich gestreckt, landete er im Wasser und tauchte unter. Das seichte Wasser reichte ihm bis zur Mitte, und sein Fuß fand augenblicklich, wenn auch nur kurz, Halt auf dem Grund. Die Zugkraft des Bootes war so stark, daß es ihn gleich wieder wegriss. Panisch schrie er auf.
Der Lärm riß Fitch aus dem Schlaf. Die Panik in Spences Stimme war nicht überhörbar. Erschrocken sprang Fitch auf. Barfuss in ausgebeulten Beinlingen und lose flatterndem Hemd, war sein Anblick schon sonderbar genug, wurde aber noch von dem seines Gefährten übertroffen, der über eine flache Sandbank gezerrt wurde, während das Boot buglastig stromab trieb. Der Gedanke an Seine Lordschaft, der die beiden streng ermahnt hatte, ihre Gefangene auf keinen Fall entwischen zu lassen, machte ihm Beine. Mit Riesenschritten und rudernden Armbewegungen rannte er das Ufer entlang einer Stelle zu, von der aus er die Fahrt des flüchtigen Bootes aufzuhalten hoffte. Elise warf einen Blick zurück zu dem im Wasser treibenden Spence. Irgendwie hatte er es geschafft, das Tau zu fassen. Laut prustend und schnaubend hantelte er sich nun immer näher an das Boot heran. Elise kroch nach hinten zur Ruderpinne, doch das Seil hatte sich fest darum gewickelt und ließ sich nicht lösen. Sie packte eines der Ruder, schob das lange, unhandliche Ding über das Heck hinaus und versuchte, ihren halbertrunkenen Entführer am Näher kommen zu hindern, so daß Spence wüste Drohungen gegen sie ausstieß.
Der Kiel schürfte über den Grund, und als Elise sich umsah, bemerkte sie, daß Fitch sich triumphierend von einer flachen Klippe dem Boot direkt in den Weg warf. Wasserspeiend und nach Atem ringend, kam er an die Oberfläche und schwamm dem Boot entgegen.
Ein Ruck am Boot ließ Elise herumfahren. Spences große Hände fassten nach der Bordwand. Sie versuchte wieder, mit dem Ruder auszuholen, doch es war zu unhandlich und zu schwer, um als wirksame Waffe zu dienen. Das hintere Ende des Ruders prallte gegen den Mastbaum, so heftig, daß sie fast über Bord gefallen wäre. Fitch hatte das Boot erreicht und stemmte sich triefend hinauf. Schreiend ging Elise auf ihn los und wollte ihn mit dem Ruder zurückstoßen. Sie verlor ihr Gleichgewicht, als auch Spence sich über die Bordwand schwang und dabei unabsichtlich gegen die Ruderpinne stieß. Diese schnellte herum, und das Boot begann gleich einem liebestollen Walross wie trunken zu schlingern. Elise stürzte ins eisige Wasser. Kaum hatte sie sich vom Schock erholt, tauchte sie auf und
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